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Kernphysik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1946 bis 1968

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 (2010) (2010)

Bernd Helmbold
Kernphysik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1946 bis 1968
(Jenaer Beiträge zur Geschichte der Physik, Band 1)
109 Seiten, 22 Abb., Pb., 15,00 Euro
ISBN 978-3-86225-100-1
Über die Bedeutung der FSU Jena für für die kernphysikalische Forschung in der DDR.

 

Epilog

»Geschichte ist der Übergang vom Möglichen zum Faktischen. Während aber in der politischen Geschichte die ?Zeit? unzählige Möglichkeiten verwirft und eine zu einer viel¬leicht harten Wirklichkeit werden lässt, setzt in der Geschichte einer Wissenschaft die "Zeit" das Richtige durch. Dabei spielt auch in der politischen Geschichte der Zufall eine große Rolle; er wirkt aber auch in der Geschichte einer Wissenschaft. ... In der Wissenschaftsgeschichte ist jedoch der Sachzwang stärker als der Zufall .... Sehr bestimmend ist der Stand der jeweiligen experimentellen Technik ... Zwischen Zufall, Sachzwang und Prüfmöglichkeit bewegt sich auch die Geschichte ...«

In der Nachkriegszeit wurde begonnen, an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Kernphysik als Fachdisziplin zu installieren. Die einzelnen Entwicklungsabschnitte spiegeln die wissenschaftlich-technische, ökonomische, juristische und politische Relevanz der Fachdisziplin in der jeweiligen Zeit wieder.

Periodenüberscheidungen innerhalb meiner Arbeit waren dann erforderlich, wenn trotz des Vorliegens der Determinanten für die laufende Sequenz auch schon neue, für den nächsten Abschnitt bestimmende Elemente ausgemacht werden konnten. Die zeitliche Gliederung erfolgte anhand der Herausbildung dieser entwicklungsbestimmenden Faktoren. Periodenübergänge als solche sind fließend und werden durch Phänomene auf diversen Ebenen gekennzeichnet. In der Zeit bis zum Anfang der 1960er Jahre waren in Jena die Vorarbeiten und der Aufbau der Großgeräte bestimmend. Darauf folgte, in der allgemeine Krise der Fachdisziplin, für das TPI der FSU Jena die ertragreichste Periode. Im Anschluss stagnierte die Entwicklung in Jena ohne vorherige Retardierung, gliederte sich also nahtlos in den Zustand des fachspezifischen Umfeldes wieder ein.

Im ersten Abschnitt dieser Entwicklung von 1946 bis Anfang der 1950er Jahre konnte, trotz der ungünstigen Nachkriegsumstände, die Kernphysik als ein wichtiges Disziplinenthema der Physik an der FSU Jena aufgegriffen und schon zum ersten Nachkriegssemester mit Dr. Alfred Eckardt eine Berufung zum Dozenten im Fach realisiert werden. Danach dauerte es bis 1951, um weitere wissenschaftliche Mitarbeiter zu verpflichten. In der Zwischenzeit wurden Studenten in den Auf- und Ausbau der Forschungsinteressen einbezogen. Einige von diesen graduierten vergleichsweise schnell und kamen durch Hausbestellungen an ihrem Studieninstitut in Assistentenpositionen. Etwa mit Beginn seiner Tätigkeit als Dozent an der FSU Jena formulierte A. Eckardt den Bau einer »intensiven Quelle hochbeschleunigter Ionen« als klares Ziel und gab damit auch den speziellen internationalen Forschungsinteressen der Nachkriegszeit Ausdruck. Die ersten Analysen beschäftigten sich mit den Energiebereichen oder Arbeitsfenstern, in denen die Zählrohre wirkten, dienten der Annäherung an Energiefragen und Häufigkeiten von Teilchen und wurden mit Hilfe von kosmischer Höhenstrahlung realisiert. Die Struktur des TPI bildete sich im Laufe der Jahre an den Forschungsinhalten heraus. Anfang der 1950er Jahre wurde mit Forschungen zu eisenarmen Impulsbetatrons begonnen und damit der Einstieg in die niedrigenergetische Beschleunigerphysik bewältigt.

In der zweiten Betrachtungssequenz folgten Planungen und forschungsvertraglich gebundene Entwicklungen von Großanlagen und bis 1968 standen je ein 10, 20 und 30 MeV Betatron mit der erforderlichen Peripherie und räumlichen Ausstattung zur Verfügung. Die vier Hauptarbeitsgruppen, neben der Betatrongruppe die Kaskadengruppe , die Van-De-Graaff-Generatorgruppe , sowie die Dedektoren- und Massenspektrographengruppe bestimmten die Forschungsinhalte bis zur Umstrukturierung.

Die Entwicklung der Kernphysik erfuhr mit dem Abbau der Restriktionen durch den Alliierten Kontrollrat und der zeitgleichen Ausweitung des weltweiten Interesses für atomphysikalische Fragen einen deutlichen Schub. Dies ging mit programmatischen Fragen der Blockbündnisse genauso einher, wie mit der aufkommenden weltweiten Atomeuphorie, in deren Zuge man die zukünftigen Energieprobleme, insbesondere auch in der DDR, zu lösen hoffte. Im Zuge der Öffnung der Forschung zu kernphysikalischen Fragen fanden viele relevante Entwicklungen ihren Anfang. Neben den ersten Planungen und der Mittelsicherung für die Großgeräte am TPI wurde mit der starken Verbreiterung der personellen Ressource die Basis für spätere Leistungen gelegt. Dazu wurden allein bis 1959 neun Wissenschaftler angestellt, was einer Vervierfachung entspricht.

Ob und inwieweit die Rückkehr der Spezialisten für direkte Effekte im Rahmen der Kernforschung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena verantwortlich war, bleibt offen. Anders als an anderen Universitäten und in der außeruniversitären Kernforschung jedoch, wo die Rückkehr der Spezialisten nach Reichert den Impuls zum Aufbau der Fachdisziplin innerhalb der DDR auslöste, wurde am TPI der Universität Jena durch Prof. Dr. Alfred Eckardt schon seit 1946 zum Thema geforscht und es verschlug keinen der betroffenen Heimkehrer hierher. Die Friedrich-Schiller-Universität Jena sorgte aktiv für die Verankerung von Max Steenbeck, Paul Görlich, Wilhelm Schütz und Harald Straubel, zum Beispiel durch Berufungen auch im Falle weiterer Beschäftigungsverhältnisse. Bis auf Steenbeck hielten sie regelmäßige Vorlesungen und Seminare auch zu kernphysikalischen Randgebieten. Dennoch schien gerade Max Steenbeck aufgrund seiner Arbeiten zum Betatron und zur Isotopentrennung prädestiniert für die Förderung der Kernphysik. Es konnte lediglich eine sehr eingeschränkte Vorlesungstätigkeit, die Beteiligung an Kolloquien und die Betreuungen von Diplomarbeitsthemen oder Promotionsverfahren, auch zu kernphysikalischen Fragen, festgestellt werden. Dies hat verschiedene Ursachen, die wohl zum einen darin zu sehen sind, dass Steenbeck als Direktor des Instituts für magnetische Werkstoffe der DAdW Berlin außerhalb der Universität angesiedelt war und zum anderen ist er ein, durch seine vielschichtigen Verbindungen, Verpflichtungen und räumlichen Bewegungen schwer zu fassender Wissenschaftler. Nach meiner Auffassung lassen sich aus dem vorhandenen Material Aussagen zu seiner Wirkung auf die Entwicklung der Kernphysik an der FSU Jena nicht treffen. Steenbeck selbst würde heute als »Netzwerker« bezeichnet und so ist anzunehmen, dass in dieser Richtung Impulse innerhalb der scientific community von ihm ausgingen.

Das Herbstsemester 1955/1956 markiert den Beginn der intensivsten Vorlesungs- und Veranstaltungszeit zu kernphysikalischen Themen. Danach entwickelte sich der gemittelte Trend der Anzahl von kernphysikalischen Veranstaltungen nahezu linear bis zum hohen Niveau von 10 bis 12 pro Semester in den Jahren 1959 bis 1964. Auch anhand von Publikationsdichte und themen kann nachvollzogen werden, wie sich die Intensität der kernphysikalischen Arbeit an der FSU Jena veränderte. Nach der langen Einstiegsphase, in der Veröffentlichungen Mangelerscheinungen waren, belebte sich mit der Aufhebung der Kontrollratsgesetze 1955 diese wissenschaftliche Aktivität merklich und findet zwischen 1962 und 1966 ihren Höhepunkt. Parallel dazu war im Zeitverlauf die Ausweitung auf spezielle internationale Druckerzeugnisse genauso festzustellen, wie die zunehmende Zahl von Arbeiten in Mehrautorenschaft.

Dem Technisch-Physikalischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität war es mit Anfang der 1960er Jahre unzweifelhaft gelungen, auf dem Gebiet der Beschleunigerphysik innerhalb der DDR ein Alleinstellungsmerkmal generiert zu haben. Fragen der Mess- und Nachweisinstrumente wurden seit Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena gemeinsam und später von jeder der Gruppen notwendigerweise spezialisiert bearbeitet. Gegen Ende des Betrachtungszeitraumes in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurden im Rahmen der Anwendung von Nebel- oder Blasenkammern Auswertungsprobleme fokussiert und nicht nur in diesem Zusammenhang fand die Elektronik Zugang zu Steuer- und Messprozessen.

Insgesamt wurden beachtliche Ergebnisse erzielt. Exemplarisch seien das Aufstellen und der kontinuierlich Betrieb der Großgeräte Betatrone, Kaskadenbeschleuniger und Van-De-Graaff-Generator, sowie die Entwicklung der ersten Blasenkammer der DDR genannt. Die schrittweise aufeinander aufbauende Forschung wurde durch Notwendigkeiten bestimmt, die auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Abhängigkeit, der politisch-dezisionistischen Linie und auch im wissenschaftlichen Erkenntnissektor lagen. Die mehrfache Änderung der Studienplanung und organisation ist Beleg für die stringente Planungsmanie und direktive Organisation durch die Staatsführung der DDR. Der Bedarf an Physikern mit einer fachlich tiefen Spezialausbildung wurde an der Industrie ausgerichtet und sollte sich zunehmend Vervielfachen. Die FSU Jena gehörte zu den Hauptausbildungsstätten für Physiker in der DDR und war neben der TU Dresden die wohl wichtigste Schule für Kernphysik. Durch die Integration von Gesellschaftskunde, Sport, Russisch und Deutsch in das Studium ab 1952/1953 wurde diese Intention konterkariert und sowohl die Verlängerung von Studienzeiten, als auch die Fragwürdigkeit der Ausbildung an sich in Kauf genommen. Dennoch wurde die Physikerausbildung durch persönliches Engagement und mit hohem Aufwand erfolgreich realisiert. Ein Indikator dafür scheint das Verhältnis von wissenschaftlichem Mitarbeiter zu Studenten zu sein, welches 1964 bei ca. 1 zu 6 lag, ein weiterer die Positionen in der Wissenschafts- und Politiklandschaft der DDR, die Absolventen der FSU im Zeitverlauf einnahmen. In Ostrichtung gab es vielgestaltige Kooperationen mit unterschiedlichsten Instituten. In der Zeit nach 1955 entstand unter dem Bestand politischer Machtverhältnisse und wissenschaftlichem Hegemonieanspruch für die Fachdisziplin die Gemeinschaftsarbeit mit der UdSSR. Zum einen bestanden die Verbindungen aus komplementären und in additivem Sinne oft arbeits-/ausstattungstechnischen Gründen, zum anderen dienten sie der Verifikation eigengenerierter Ergebnisse oder schlicht und einfach Ausbildungszwecken. In Westrichtung verlief die Zusammenarbeit zuerst auf »alten Gleisen«. Das meint, dass die persönlichen Verbindungen insbesondere Buchwalds und Eckardts innerhalb der kriegsbedingt geteilten deutschen scientific community aufrechterhalten wurden. Späterhin wurde dies durch vielfältige Barrieren erschwert, riss trotzdem nie ganz ab, wie beispielsweise durch die Kolloquien belegt werden kann. Grund hierfür waren wahrscheinlich einmal der relativ kleine Kreis von Beteiligten, gegenseitige Abhängigkeiten und unter Umständen auch der Kalte Krieg, der zu einer Öffnung unter dem Druck der gegenseitigen Bedrohung der Mächte geführt haben könnte. Infolge der Situation wurden auch jüngere Wissenschaftler in die deutsch-deutsche community der Physiker integriert und konnten den Bestand der Netzwerke tragen helfen. Dass das Erreichen der Erfolge durch Prof. Eckardt und seine Mitarbeiter nicht als selbstverständlich wahrgenommen wurde, ist durch kompetente Zeitgenossen belegt worden. Das TPI entwickelte sich unter Prof. Dr. A. Eckardt in der letzten Periode um 1965 mit 26 wissenschaftlichen Mitarbeitern neben dem Physikalischen Institut zur personell stärksten der Fachrichtung Physik an der FSU. Innerhalb des abschließenden Zeitintervalls 1965 bis 1968 kam es zur Stagnation der Kernforschungsentwicklung innerhalb der DDR und in ihrem Umfeld. Die Ursprünge dafür waren in der vorhergehenden krisenhaften Periode mit Entscheidungen zum Richtungswechsel der Kernenergiepolitik gelegt worden. Die paralytische Wirkung dieser Verfügungen schlug zweifelsfrei bis in die Hochschulebene durch. Durch den Verlust ihres Sonderstatus rückte die Kernphysik aus dem Fokus der Planungen im Rahmen der 3. Hochschulreform. So büßte das TPI über 30% des wissenschaftlichen Personals im Zuge der Reform ein und es konnten unter neuer Sektionsstruktur 1968 nicht alle sich bis dahin konstituierten Arbeitsfelder fortgeführt werden. Betatrone allgemein, aber auch die des Eckardtschen Instituts verloren in Bezug zur Kernphysik national und international an Beachtung, allerdings wurde die strahlentherapeutische Anwendung intensiviert. Des Weiteren drängte die zunehmend am präsumtiven Nutzen für die staatlichen Betriebe orientierte Forschungs- und Ausbildungsplanung zu den angewandten Feldern der Wissenschaft, wobei offensichtliche lokale Präferenzen und industrielle Strukturen nicht unbeachtet blieben. So prägten die Interessen und Profile des Kombinates Carl Zeiss und der allgemeine wissenschaftliche Gerätebau die Umstrukturierung innerhalb der Sektionsbildung der Physik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Beispielhaft sei die Profilierung der »Ionometrie« zu nennen, die Arbeitsgruppe der 1968 gegründeten Sektion Physik, die Kristalleigenschaften und Atomstrukturen mit Hilfe von Kernreaktionen untersuchte, zu Ionenimplantationen forschte und zur Entwicklung der Halbleitertechnologie arbeitete. Hierzu wurden sowohl der Van-De-Graaff-Generator als auch die Kaskade in die neue Arbeitsgruppe überführt. Insgesamt wurde die Progression des TPI der FSU Jena durch verschiedene Einflüsse verhindert und dieses war der fachspezifischen Paralyse preisgegeben. Schlussendlich wurde die Disziplin Kernphysik prinzipiell aufgelöst.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Patriarch der Kernphysik an der FSU Jena, Prof. Dr. Alfred Eckardt, dieser nicht nur den Impetus infolge der Wiedereröffnung verlieh, sondern dieselbe während des gesamten Betrachtungszeitraumes »ernährte«, ausbaute und zu wissenschaftlicher Leistung bewegte. Mit seiner Emeritierung 1968 geht auch das Kapitel der »klassischen« Kernphysik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu Ende.

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