der Naturwissenschaften
und der Technik
Die PAL-SECAM-Kontroverse in der DDR
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Gerald Glaubitz |
Kurzes Fazit
Die Untersuchung hat gezeigt, daß die eigentliche Politisierung und Ideologisierung der farbfernsehtechnischen Systemfrage in der DDR erst nach der Unterzeichnung des staatlichen Rahmenabkommens vom März 1965 begann, als der »große Bruder« UdSSR das französische SECAM-System übernahm.
Bis zu diesem Zeitpunkt, als die politische Führung der DDR, vor allem der Ministerrat, auf die Farbfernsehfrage aufmerksam wurde und Berichte einforderte, hatte es seit Anfang der 60er Jahre auf der technischen Ebene, von der Politik relativ unbehelligt, Forschungsarbeiten und Experimente gegeben. In diesem Zusammenhang ist vor allem das RFZ (Rundfunk- und Fernsehtechnische Zentralamt der Deutschen Post) in Adlershof zu nennen.
In diesen Arbeiten (und einigen selbständigen technischen Entwicklungen) wird die besondere Motivationskraft der Techniker und Ingenieure (des RFZ und auch des ZRF in Dresden) sowie ihr guter Ausbildungsstand deutlich, was später jedoch durch die politisch-ideologischen Eingriffe, letztendlich der Parteiführung, gebremst wurde.
Obwohl es auf der Ebene von DDR-Ingenieuren und -Technikern technisch bedingte PAL-Präferenzen gegeben hat, die man anfänglich durchaus im Rahmen der RGW-Zusammenarbeit offenherzig vertrat (wobei man in Berufung auf die deutsche, von staatlicher Teilung geprägte Sondersituation eine mögliche abweichende Haltung der DDR von den östlichen Blockpartnern am Anfang anerkannt bekam!), war es die politische Führung der DDR, die – mutmaßlich auf direkten oder indirekten Druck Moskaus hin – den weiteren Kurs auf das französisch-sowjetische farbfernsehtechnische System festlegte. Spätestens mit dem (zur Beförderung der eigenen Verhandlungsposition gegenüber Frankreich geheim gehaltenen) Beschluss des Präsidiums des Ministerrats vom 22.12.1966, der vom Politbüro am 31.1.1967 bestätigt wurde, legte man sich eindeutig auf das SECAM-System fest.
Spätestens also in der Vorbereitungsphase des »Geheimbeschlusses« im Herbst 1966 war es, als die eigentliche Politisierung und Ideologisierung der Farbfernsehfrage in der DDR begann, welche zudem mit den Planungen zur Einführung eines zweiten farbigen Fernsehprogramms des DFF verknüpft wurden, das schließlich am 20. Jahrestag der Staatsgründung starten sollte und dann auch, wie im Plan vorgesehen, startete.
Auf der politischen Ebene stand vor allem der Wettkampf mit dem »Referenzsystem« Bundesrepublik Deutschland im Zentrum des ideologischen Nachdenkens der DDR-Führung (Ministerrat, Führungskader der Deutschen Post, Rundfunk- bzw. Fernsehkomitee), wobei es angeblich um einen »ideologischen Abwehrkampf« gegen westliche (Farbfernseh)Diversion in die DDR und den vom M.-L. geforderten Erziehungsauftrag gegenüber der eigenen Bevölkerung sowie – zur Demonstration der »Überlegenheit« des Sozialismus – gegenüber der BRD-Bevölkerung gehen sollte. Dabei zeigt sich die Instrumentalisierung eines vormals von der politischen Führung der DDR missachteten technischen Phänomens vor allem darin, dass die farbfernsehtechnischen Entscheidungsträger in den SECAM-Verhandlungen mit den französischen Firmen CSF und vor allem CFT – neben ökonomischen Erträgen – insbesondere eine politische Aufwertung des ostdeutschen Staates verfolgten (Forderung nach Einbezug offizieller französischer Staatsrepräsentanten, am liebsten Minister, Einreisegenehmigung nach Frankreich für hohe DDR-Repräsentanten). An dieser Stelle wird das Ringen um außenpolitische Anerkennung der DDR, vor dem Hintergrund politischer Nichtanerkennung durch die Bundesrepublik – siehe Hallstein-Doktrin – und Frankreich als ein zentrales politisches Anliegen der DDR erkennbar, mithin die generelle Fruchtbarkeit der technikgeschichtlichen Perspektive zur Betrachtung allgemeiner historischer Entwicklungen.
Ebenfalls auf der Ebene der Politisierung lag das Bemühen der DDR-Führung, im Schutze des »großen Bruders« zwar aber relativ eigenständig, die Verhandlungen mit Frankreich zu führen, dabei ein gewisse Stärkung ihres fragilen souveränitätspolitischen Profils auch gegenüber Moskau zu erreichen. Dabei wird gerade hier deutlich, dass die DDR kein bloßer Satellit der UdSSR war, wiewohl der »große Bruder« in der Farbfernsehfrage selbstverständlich das letzte Wort hatte. Gleichwohl zeigt sich in der Ablehnung eines Mindestmaßes politischer Anerkennung der DDR durch Frankreich (der stellvertretende Postminister Probst durfte nicht nach Frankreich reisen) und in der quasi auf Moskaus sanften Druck (durch Kossygin) erzwungenen SECAM-Systementscheidung die Grenze des souveränitätspolitischen Kurses der DDR gegenüber dem Westen und gegenüber der Sowjetunion, damit generell auch die Begrenztheit einer rein technikgeschichtlichen Perspektive.
Obwohl es auf westdeutscher und französischer Seite die Hoffnung bzw. das Gerücht gab, dass der die deutsche Sonderrolle betonende »Nationalkommunist« Walter Ulbricht im Politbüro die Übernahme des westdeutschen PALs präferieren würde, ließ sich dies anhand der Quellen jedoch nicht verifizieren.
Auch im Hinblick auf die nähere ideologische Dimension der Farbfernsehfrage in der DDR bestätigte sich die Instrumentalisierung eines technischen Phänomens. Dokumentiert wurde dies vor allem am Beispiel der ideologisch-politischen Federführung im unmittelbaren Vorfeld des 1969 gegründeten zweiten, farbigen Fernsehprogramms durch das von Heinz Adameck geleitete Fernsehkomitee, welches dem Ministerrat, vor allem dem »Falken« Alexander Abusch, direkt unterstellt war.
In technisch-ökonomischer Perspektive hat die Untersuchung gerade in der Lizenzfrage gezeigt, dass in den Gesprächen der UdSSR mit Frankreich in einer gemeinsamen Farbfernsehkommission sowjetische Eigeninteressen Priorität gegenüber der Beförderung der Bedürfnisse der DDR und anderer Verbündeter hatten, was durchaus auf der dargestellten Linie eines generellen arbeitsteiligen Ungleichgewichts im RGW lag.
Der kurze Abriss zu Vorgeschichte und Geschichte der industriellen Massenfertigung des ersten volltransistorisierten Farbfernsehempfängers, des RFT Color 20, in Staßfurt deutete die heutzutage in westlicher Perspektive zumeist unterschätzte besondere Produktionsleistung von DDR-Betrieben auf ausgewählten technischen Feldern an, welche häufig in der Forschung in Verweis auf strukturelle Mängel einer zentralen Verwaltungswirtschaft übersehen wird.
Eine wichtige Aufgabe zukünftiger wirtschafts- und technikgeschichtlicher DDR-Wissenschaft könnte die Untersuchung der DDR-Ökonomie auf Mikroebene eines Produktionsstandorts wie Staßfurt sein.
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