Verlag für Geschichte
der Naturwissenschaften
und der Technik

Die Entwicklung des Meridiankreises 1700-1850

Übersicht | Inhalt | Zusammenfassung | Einführung

 (1996) (1996)

Klaus-Dieter Herbst
Die Entwicklung des Meridiankreises 1700-1850
Genesis eines astronomischen Hauptinstrumentes unter Berücksichtigung des Wechselverhältnisses zwischen Astronomie, Astro-Technik und Technik
253 Seiten, 63 Abb., Pb., 35,80 Euro
ISBN 978-3-928186-21-6
Der Autor zeigt, wie neue technische Herstellungsverfahren im Zuge der Industriellen Revolution einem astronomischen Instrument zum Durchbruch verhalfen.

 

Einleitung

Der Meridiankreis erwies sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts als eines der zuverlässigsten astronomischen Meßinstrumente. Im Zusammenhang mit den Aufgaben der damaligen Positionsastronomie avancierte er ab Mitte der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu einem Hauptinstrument einer Sternwarte. Die Tatsachen, daß der Prototyp dieses Gerätes bereits um 1700 gebaut wurde und daß der Meridiankreis sich an dem bedeutsamen Observatorium in Greenwich erst gegen 1850 durchsetzte, markieren den zeitlichen Rahmen der Einführung des Meridiankreises. Diese für den genannten Zeitraum zu konstatierende Entwicklung im astronomischen Instrumentenbau stand im Kontext mit dem Ersetzen des Quadranten durch ein Kreisinstrument, einem grundlegenden Wandel im Gerätebau am Ende des 18. Jahrhunderts.

Aufgabe der vorliegenden Studie ist es, den Übergang zum Bau von Meridiankreisen als einen sich über rund 150 Jahre erstreckenden historischen Prozeß darzustellen. Daraus ergibt sich die Forderung, die Geschichte vor allem unter einem genetischen Gesichtspunkt zu befragen, d. h. zu klären, wie es geworden ist, und weniger, wie es gewesen ist. Aus diesem Grunde wird der subjektive Faktor in der Geschichte bei der Darstellung stark betont, indem vielfältige Belege für das Denken und Urteilen der Astronomen und Instrumentenbauer angeführt werden. In bezug auf die Historiographie der astronomischen Instrumentenkunde wird damit insofern Neues geleistet, als es eine umfassende und systematische Aufarbeitung aller Umstände, die den umrissenen Prozeß prägten, bisher nicht gibt. Obwohl aus dem gesamten Bedingungskomplex auch auf politische, wirtschaftliche und soziale Komponenten geachtet wird, konzentriert sich die Analyse auf das Erkennen der wissenschaftlichen (astronomischen) und technischen Hintergründe, Bedingungen und Zusammenhänge hinsichtlich des Auftretens einer neuen Entwicklungsrichtung im astronomischen Gerätebau.

Der gesamte zu untersuchende Prozeß kann in 3 Entwicklungsstufen (Vorbereitungs-, Realisierungs-, Durchsetzungsstufe) eingeteilt werden. Dementsprechend wurde der Hauptteil dieser Arbeit gegliedert (Kapitel 2 bis 4). Im Kapitel zur Vorbereitungsstufe werden die entscheidenden Faktoren zusammengetragen, die schließlich begünstigend für die Konstruktion von Kreisinstrumenten und die damit verbundene Verdrängung der Quadranten an den Sternwarten wirkten. Das Kapitel über die Realisierungsstufe stellt den eigentlichen Kern der Studie dar. In ihm werden die Quellen vor allem unter folgenden Aspekten ausgewertet:

  • Weshalb vollzog sich der Übergang vom Quadrant zum Kreisinstrument gerade zwischen 1780 und 1790, obwohl Römer schon um 1700 den prinzipiellen Weg mit seinen Kreisinstrumenten gewiesen hatte?
  • Weshalb begann der kontinuierliche Bau von Meridiankreisen erst zwischen 1810 und 1820 und nicht bereits um 1790?

Die relativ knapp gehaltenen Ausführungen zur Durchsetzungsstufe des Meridiankreises konzentrieren sich auf die Anerkennung und Verbreitung dieses Gerätes auf dem europäischen Festland sowie auf die nur zögerliche Einführung jenes Instrumententyps an den britischen Sternwarten.

Für das Finden schlüssiger Antworten auf die oben formulierten zwei Fragen erweist es sich als notwendig, den Details des Übergangs zu den Kreisinstrumenten bzw. den Meridiankreisen genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Das umfaßt sowohl das Anführen von Einzelheiten über das Entstehen eines Bedürfnisses nach diesen neuartigen Instrumenten als auch die Angabe von Hintergründen zu ihrem Bau und ihrer Verbreitung. Dabei ist es nicht das Anliegen, einzelne Gerätetypen oder technische Erfindungen detailreich zu beschreiben und ihre Funktionsweise zu erläutern. Auch bei den erwähnten rein astronomischen Problemen geht es nicht um das fachwissenschaftliche Bewerten aus heutiger Sicht. Statt dessen werden die Quellen vor allem danach befragt, wie die Astronomen und Astro-Techniker gedacht haben bzw. welche historischen Sachverhalte ihr Denken beeinflußt haben könnten. Nur dadurch kann es gelingen, damalige Entscheidungen dieser Leute und damit auch die Entwicklung (das Werden) im hier darzustellenden Prozeß für den heutigen Leser nachvollziehbar werden zu lassen.

Die in der vorliegenden Form erstmalige Untersuchung der Einführung des Meridiankreises schließt Ausführungen mit ein, die dem wechselseitigen Befruchten von astronomischer Forschung, astronomischem Instrumentenbau und technischem Gebiet Rechnung tragen. Insbesondere wird dem Problem nachgegangen, wie sich das Verhältnis zwischen astronomischer Notwendigkeit (Erkennen der Notwendigkeit neuer Instrumente für Fortschritte in der Astronomie) und technischer Möglichkeit (Fähigkeiten der Instrumentenbauer) des Baues von Kreisinstrumenten bzw. Meridiankreisen gestaltete. An dieser Stelle erhält die vorliegende wissenschaftshistorische Untersuchung von zwei Gesichtspunkten aus wissenschaftstheoretische Relevanz. Zum einen wird für ein spezifisches Beispiel eine Erklärung dafür gegeben, wodurch es bei einer Wissenschaftlergemeinschaft zu einem Bruch mit lange Zeit im Denken der Wissenschaftler invarianten Grundannahmen kam. Zum anderen wird ein neuer Ansatzpunkt für die Reflexion der Beziehung von Astronomie und Technik gegeben, speziell vor dem Hintergrund der sich in jener Zeit vollziehenden industriellen Revolution. Um den Bezug der Untersuchungen auf die Astronomie und den astronomischen Instrumentenbau hervorzuheben und eindeutig von anderen Bereichen des wissenschaftlichen Gerätebaues abzugrenzen, erweist es sich als vorteilhaft, die Begriffe Astro-Technik und Astro-Techniker zu verwenden. Die Ergebnisse zu beiden wissenschaftstheoretischen Aspekten sind thesenhaft im Kapitel 5 zusammengefaßt.

Der leichteren Einordnung der aufgezeigten Details und Zusammenhänge in die Gesamtheit astronomischer, astro-technischer und technischer Entwicklungen zwischen 1700 und 1850 dienen die kurzen Darlegungen zu den jeweiligen Grundzügen. Ebenfalls dem Hauptteil der Studie vorangestellt werden einführende Bemerkungen zum Verhältnis von Astronomie, Astro-Technik und Technik. Damit wird eine Positionsbestimmung der bisherigen Historiographie zu dieser Problematik angestrebt.

Die an verschiedenen Stellen aufgeworfenen und vom Verfasser noch nicht beantworteten Fragen zwingen zu weiterem Quellenstudium. Diesbezügliche Hinweise sind willkommen. Für die durch briefliche Auskünfte, Quellenhinweise bzw. Quellenbeschaffung (einschließlich Abbildungen) oder kritische Bemerkungen erfolgte Unterstützung während der Erarbeitung der vorliegenden Studie sei folgenden Damen und Herren herzlich gedankt: Herr Dr. H. Andersen (Marstall), Herr Prof. J. A. Bennett (Cambridge, Oxford), Herr Dr. A. Brachner (München), Herr Prof. P. Brenni (Florenz), Herr Prof. R. C. Brooks (Ottawa), Herr Prof. P. Brosche (Bonn), Herr Dr. J. Deiman (Utrecht), Herr Dr. W. R. Dick (Potsdam), Herr Dr. R. H. van Gent (Leiden), Herr Dr. J. Hamel (Berlin), Herr G. Hartl (München), Herr Prof. D. B. Herrmann (Berlin), Frau A. Hölzer (Hannover), Herr Prof. D. Howse (Kent), Herr S. Kratochwil (Jena), Herr Dr. P. Lange (Jena), Herr Prof. L. von Mackensen (Kassel), Herr Prof. S. Marx (Tautenburg), Herr Dr. K. Mauersberger (Dresden), Herr Prof. M. Raudsepp (Tartu), Frau A. Rosenhan (Jena), Herr Prof. K. Stölzel (Freiberg), Herr Prof. R. Stolz (Jena), Herr M. Strumpf (Gotha), Herr Dr. J. Wittig (Jena), Frau Dr. G. Wolfschmidt (München), Herr Prof. H. Zimmermann (Jena).

Für die jederzeit unkomplizierte Unterstützung seien stellvertretend für alle Mitarbeiter der Sternwarte der Friedrich-Schiller-Universität Jena Herrn Prof. W. Pfau und Frau B. Busse gedankt. Herrn Prof. D. B. Herrmann, Direktor der Archenhold-Sternwarte Berlin-Treptow, ist für die fachliche Betreuung während der Hauptentstehungszeit dieser Arbeit (1987-1990) zu danken. Besonderer Dank gilt Herrn Prof. R. Stolz, der sich als früherer Direktor des Institutes für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaften und Technik der FSU Jena dafür einsetzte, daß der Verfasser auch in den politisch schwierigen Jahren 1988 und 1989 die Forschung an dem Institut fortsetzen durfte.

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