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Der Computer als Werkzeug und Medium

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 (2000) (2000)

Michael Friedewald
Der Computer als Werkzeug und Medium
Die geistigen und technischen Wurzeln des Personalcomputers
(Aachener Beiträge zur Wissenschafts- und Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts, Band 3)
503 Seiten, 123 Abb., Pb., 38,50 Euro
ISBN 978-3-928186-47-6
Die bislang ausführlichste Darstellung der Frühgeschichte des Personalcomputers in deutscher Sprache.

 

Zum Geleit

Computer umgeben uns überall, die meisten unsichtbar – als eingebettete Systeme in Autos, Aufzügen, Telefonen oder Kameras. Gleichzeitig werden sie überall sichtbar – im Arbeitszimmer, im Wohnzimmer, im Klassenzimmer, im Fernsehen, im IKEA-Katalog. Zuerst standen sie in den klimatisierten Kellern großer Unternehmen, zugänglich nur für die Eingeweihten nach Überwindung komplexer Zugangssperren. Der Rest konnte sie im Film bewundern. In den Achtzigern standen sie plötzlich auf allen Schreibtischen. »Wow, my own IBM computer! Imagine that!« verhieß die Reklame. Inzwischen sind sie tragbar: »Computers for the rest of us!« Dieses Vorwort schreibe ich in einem ICE, computertauglich gemacht durch eine Steckdose am Sitzplatz – obwohl die Batterie meines Powerbooks dies nicht wirklich braucht.

Sind dies alles Erscheinungsformen des gleichen Geräts? Das wird man nicht ohne Weiteres behaupten können. Ein embedded controller ist anders gebaut als ein Mainframe, und beide unterscheiden sich von einer Workstation oder einem PC. Sicher gehören sie der gleichen digitalen Technologie an, doch Mainframes sind tief im Innern Rechenautomaten und Datenverarbeitungsmaschinen geblieben, gewandelt zu großen Archivmaschinen oder zu Servern in internen und externen Netzen. Die eingebetteten Varianten des Mikroprozessors heißen zu recht Mikrocontroller; sie haben mechanische oder elektromechanische Steuerbausteine durch allgemeinere, programmierbare Chips und Boards abgelöst. Workstations und PCs sind dagegen multimediale Endknoten in einem neuen Medium geworden, dem Internet. Sie besetzen nun den Begriff Computer so sehr, daß Erstsemester gelegentlich Bill Gates für den Erfinder des Computers halten – wie mir amerikanische Kollegen glaubhaft versichern.

Aber wer hat den PC erfunden? Wo kommen diese allgegenwärtigen, alltäglichen Medienmaschinen her? Michael Friedewald geht dieser Frage als Technikhistoriker nach – und er findet Antworten, die weit über noch vorhandene Oral History oder die gängigen journalistischen Aufbereitungen hinaus führen. Der PC ist nicht die bruchlose Fortsetzung der Mainframes als mikroelektronische Kopie, wie es selbst Informatiker sehen möchten, sondern der technische und kulturelle Schnittpunkt unterschiedlicher Linien der Software- und der Geräteentwicklung aber auch unterschiedlicher Anwendungslinien.

In der vorliegenden Darstellung wird klar, daß der PC eine eigenständige Geschichte hat, die ebenso wie die Geschichte der Großrechner in den Zweiten Weltkrieg zurückweist. Nur: Es waren nicht John v. Neumann und Howard Aiken, die den PC erahnt haben, sondern Vannevar Bush (und, wenn ich das hinzufügen darf, auch Konrad Zuse mit seinem früh angedachten Graphomaten). Der PC kommt also eher vom MIT, als aus Princeton oder aus Harvard. Es ist vielleicht kein Zufall, daß Vannevar Bush tief in der Analogrechentechnik verwurzelt war und Digitalrechnern zutiefst mißtraute. Weshalb er sein Memex als digital gesteuertes Archiv analog repräsentierter Texte und Bilder konzipierte – bis schließlich Forresters Whirlwind, als digitale Basis des radargesteuertern Raketenfrühwarnnetzes SAGE ebenfalls am MIT entwickelt, im Monat mehr Geld verplanen durfte als Bush in einem ganzen Jahr zur Verfügung stand.

Bush konnte seine Ideen eines persönlichen Archivierungssystems nicht umsetzen. Seine Vorstellungen von persönlicher Software und persönlichen Geräten fanden aber andere Wege zu ihrer Realisierung, ironischerweise auch über die militärische Forschungsförderung. Joseph C. R. Licklider war sowohl Psychologe wie Mathematiker und Physiker, mit einem Arbeitsplatz am MIT. Dort lernte er nicht nur Digitalcomputer aus erster Hand kennen, er erkannte auch die Möglichkeit, oder soll man sagen: die Notwendigkeit, diese Maschinen als persönliche Arbeitshilfen weiter zu entwickeln. Die »Man-Computer Symbiosis« wurde zu seiner Leitidee. Die Chance, diese Erkenntnis umzusetzen, bot sich ihm durch den Wechsel zur Advanced Research Projects Agency (ARPA), wo er 1962 zum Direktor des Information Processing Techniques Office ernannt wurde. Unter seiner Leitung wurden grafik- und interaktionsfähige Maschinen entwickelt, aus denen mit Hilfe des 1971 erfundenen Mikroprozessors diejenigen Kleinstrechner wurden, die man heute als PCs bezeichnet. Andere Entwicklungen haben dies verstärkt. Ivan Sutherlands grafisches Eingabesystem Sketchpad, Doug Englebarts Mouse, das Online Text System, der speicherfressende Rasterbildschirm und vor allem die Arbeiten Alan Kays und anderer bei Xerox PARC, die im Apple Macintosh einen ersten Massenmarkt fanden, der wiederum zum Vorbild der Windows-Varianten wurde. Als WIMP-Machine (Windows, Icons, Menus, and Pointers) wurde der Computer doch noch zum Archivsystem für Text und Bild – und vielem mehr: für Töne, Animationen, Filme.

Natürlich ging es nicht nur um die multimediale Geräteausstattung, es mußten auch geeignete Programmierhilfen gefunden werden. Der Durchbruch vom Hobbygerät zur Alltagstechnik gelang den frühen PCs (bevor IBM sie PCs nannte) mittels Texteditoren wie Wordstar, aber vor allem mittels VisiCalc, dem ersten vermarkteten Tabellenkalkulationsprogramm – einem Programmtyp, den es für Mainframes und Minicomputer vorher nicht gab, einer Killerapplikation also. Nicht: »My own IBM computer!«, sondern »Meine selbst programmierbare Buchhaltung!«

Um die wilden Ideen einer Multimedia-Maschine umsetzen zu können, wurde Smalltalk als Sprache der Wahl bei Xerox PARC entwickelt, andere, wie Apples HyperTalk, führten diesen Einstieg fort, bis das WWWund in seinem Gefolge Java das Internet als zwingende Erweiterung des Tischmediums PC charakterisierte. Vernetzung, Interaktion, multimediale Datenspeicherung und -verarbeitung kennzeichnen den Stand des Mediums Computer heute – ein Medium, das alle anderen simulieren kann, sie aber auch auflöst. Ein weltweit verbreitetes Medium, das doch das Ende der Massenmedien andeutet – natürlich nicht im Rückgriff auf die individuelle Handarbeit, sondern in Form eines mass-customized medium, eines Mediums, daß für jeden Nutzer und jede Nutzerin in gefälliger Weise zurechtgestutzt werden kann. The medium for the rest of us! Sie wollen Infos über Perserkatzen: Bitte hier ist www.perserkatzen.de; sie wollen mehr Nachrichten über Leguane: Bitte hier ist alt.pets.reptiles.lizards.iguana (leider nur in Englisch) – und Sie können Fragen stellen oder Kommentare schicken. Sie wollen keine Sex- oder Gewaltdarstellungen aus dem Internet: Bitte Microsofts Internet Explorer enthält ein passendes Filterprogramm. Sie wollen nur Sexbilder: Drehen Sie doch einfach den Filter um ;-)

Es ist Michael Friedewalds Verdienst, diese Entwicklung in ihrer Kontinuität, aber vor allem in ihren Brüchen klar und deutlich zu zeigen. Sein Text beweist, daß die Geschichte des PCs bereits zu einem Stück Geschichte geworden ist. Er legt die relevanten Fakten offen – jenseits aller Spekulationen über den Charakter einer kommenden »Informationsgesellschaft«.

Prof. Wolfgang Coy
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Informatik, Informatik in Bildung und Gesellschaft

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