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Kommunikationsraum Stadt – Historische Stätten der Physik in Jena

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 (2021) (2021)

Markus Ehberger; Christian Forstner
Kommunikationsraum Stadt – Historische Stätten der Physik in Jena
130 Seiten, 83 Abb., Pb., 14,80 Euro
ISBN 978-3-86225-124-7
16 farbig bebilderte Streifzüge durch Jenas Physikgeschichte.

 

Gruß- und Vorworte

Grußwort des Präsidenten

Der Jenaer »Uniturm« hat eine Höhe von fast 160 Metern. Er steht im Zentrum der Stadt, ist ihr markantester und höchster Punkt. Der Turm entstand um 1970 als Forschungsneubau für das Carl Zeiss-Werk, geplant vom DDR-Stararchitekten Hermann Henselmann. ZEISS hatte ihn beauftragt, ein Gebäude in zylindrischer Form zu entwerfen, das an ein Fernrohr erinnert. Ich empfehle Ihnen einen Blick aus den oberen Etagen oder von der Aussichtsplattform des Turms. Von hier eröffnet sich ein beeindruckendes Panorama. Entdecken Sie Jena von oben: Sie sehen eine Stadt, der Wissenschaft und Technologie von jeher ihr besonderes Gepräge verleihen.

Zu Füßen des Turms, in der Jenaer Altstadt, finden Sie viele historische Gebäude der Universität. Diese wurde 1548 als »Hohe Schule« im Geist der Reformation gegründet und erhielt zehn Jahre später das Universitätsprivileg. Die »Salana«, wie sie damals hieß, gehört zu den ältesten deutschen Universitäten. Das Bekenntnis zur neuen Glaubensrichtung des Protestantismus hat sie geprägt. In Jena wurde ein freies, undogmatisches Denken gepflegt. Das war der beste Nährboden für die rasche Entwicklung von Universität und Wissenschaften, die auch der Stadt zu wachsender Prosperität verhalf.

Bereits frühzeitig hielt naturwissenschaftliches Denken in Jena Einzug. Der Mathematiker, Physiker und Astronom Erhard Weigel lehrte ab Mitte des 17. Jahrhunderts an der Universität. Um vor Ort bei ihm zu studieren, kam Gottfried Wilhelm Leibniz in die Saalestadt. Er wurde Weigels berühmtester Schüler. Leibniz’ integrale Sicht auf Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften hat in Jena tiefe Spuren hinterlassen. Sie sind deutlich sichtbar bei der Generation von Philosophen und Dichtern, die die Stadt um 1800 zu einem intellektuellen Leuchtturm werden ließen: Hegel, Schelling, Fichte, die Brüder Schlegel und Schiller. Sie alle lehrten hier an der Universität, zogen Studenten, Dichter und Denker von überallher an. Auch die naturwissenschaftlichen Entdeckungen und die Innovationen auf technischem Gebiet, die Jena später bekannt gemacht haben, wären ohne die Philosophengeneration um 1800 kaum möglich gewesen.

Als universaler Kopf und praktisch wirkender Minister war Johann Wolfgang von Goethe zu jener Zeit für die Universität tätig. Er verhalf den Naturwissenschaften zu einem dynamischen Aufschwung, indem er namhafte Gelehrte auf Professuren berufen ließ und dank seines umfassenden Verständnisses die Verbindungen zwischen den sich ausdifferenzierenden Fachdisziplinen im Blick behielt. Vernetztes Denken, so könnte man sagen, hat die Wissenschaften in Jena immer ausgezeichnet. Mit Goethe kommt eine weitere Komponente hinzu, die für die Naturwissenschaften von besonderer Bedeutung ist: moderne, passfähige Infrastrukturen. Goethe ließ die universitären Sammlungen ausbauen oder neu anlegen (wie die Mineralogische Sammlung), erweiterte die Bibliothek und den Botanischen Garten. Auf seine Initiative entstanden naturkundliche Archive, Laboratorien und die Universitätssternwarte. Viele dieser Einrichtungen bestehen noch heute, oftmals hat Goethe sie selbst genutzt, um seine vergleichenden Naturbeobachtungen anzustellen.

Auch die optisch-technologische Revolution, die von Jena ausging, hat in den Experimentallaboren und Werkstätten der Universität ihren Anfang genommen. 1846 richtet der Universitätsmechanicus Carl Zeiss eine mechanisch-optische Werkstatt ein. Dort produziert er unter anderem einfache Mikroskope. Matthias Jacob Schleiden, Botaniker und Zelltheoretiker an der Jenaer Universität, hatte ihn dazu angeregt. Auch der Jenaer Zoologe Ernst Haeckel gab erste Mikroskope bei Zeiss in Auftrag. Diese Form der Kooperation war neu. Bislang hatten die Forscher ihre Linsen selbst schleifen müssen. Mit dem Aufblühen der Zelltheorie wuchs der Bedarf an Mikroskopen deutlich an, die Anforderungen an die Präzision stiegen. Zeiss suchte nach einem Weg, die Objektive auf rechnerischer Grundlage herzustellen und wandte sich an den Jenaer Privatdozenten und Physiker Ernst Abbe. Der Rest ist Physikgeschichte: Mit seiner Theorie der Bildentstehung im Mikroskop und der Formel von der optischen Auflösung formuliert Abbe die wissenschaftlichen Grundlagen der Optik. Er entwickelt die Theorie, Technologie und Fertigung optischer Instrumente bis zu einem Stadium, das neue Glastypen erfordert. Hier kommt der Glaschemiker Otto Schott ins Spiel. Er erreicht eine Verbesserung optischer Gläser, die für die serienmäßige Herstellung leistungsfähiger Mikroskope bahnbrechend ist. Damit ist die Innovationskette komplett. Abbes Formel hat die Optik revolutioniert und gleich zwei neue Industrien in Jena hervorgebracht: die optische-feinmechanische Industrie, bis heute assoziiert mit ZEISS, und die Glaschemie, für die der Name SCHOTT steht.

Das Geheimnis des Jenaer Erfolgs liegt in der engen Kopplung von Wissenschaft, technischer Innovation und industrieller Produktion. Jena war weltweit einer der ersten Standorte, an dem aus dieser Kopplung ganze Innovationssysteme entstanden. Ihnen verdanken wir nicht nur Mikroskope, Teleskope, Foto- und Filmobjektive, Messtechnik und ophtalmologische Geräte – zukünftig zu besichtigen im Deutschen Optischen Museum. Planen Sie auch einen Besuch in unserem Planetarium ein. Hier können Sie ganz anschaulich erleben, was optische Technologien zu leisten vermögen. Dass die Skala des Möglichen noch längst nicht ausgereizt ist, zeigen die aktuellen Entwicklungen der Lasertechnologie. Wussten Sie übrigens, dass erste Gas- und Festkörperlaser zu Beginn der 1960er Jahre aus Jena kamen? Auch diese Entwicklung war induziert durch die enge Verzahnung von universitärer Forschung – am Physikalischen Institut – und Technologieunternehmen.

In jüngerer Vergangenheit wird diese Kooperation durch die Institute der außeruniversitären Forschung bereichert, die sich in großer Zahl bei uns angesiedelt haben. Wenn wir jetzt gemeinsam daran forschen, optische und photonische Technologien weiter für Medizin und Lebenswissenschaften fruchtbar zu machen, kommen viele Impulse aus den Instituten auf dem Campus Beutenberg. Der Campus zeigt beispielhaft, wo Jenas Zukunft liegt: in Forschung und technologischer Entwicklung, die Grenzen überschreitet – Grenzen zwischen den Disziplinen, zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung, zwischen Wissenschaft und Technologieunternehmen. Ich wünsche mir, dass die Universität auch zukünftig im Zentrum dieser Entwicklungen steht, indem wir gemeinsam mit unseren Partnern das tun, was wir hier in Jena am besten können: vernetzt denken und eng kooperieren.

Ihnen wünsche ich viele Freude bei den Streifzügen durch Jenas Physikgeschichte und viele spannende Entdeckungen!

Walter Rosenthal
Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Vorwort des Dekans

Physik ist eine sich sehr dynamisch entwickelnde Wissenschaft. Jedes Jahr werden neue Professuren eingerichtet, neue Forscher eingestellt und eine stetig anwachsende Anzahl von Arbeiten publiziert. Die Physik in Jena ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Anzahl der Professoren an der Fakultät für Physik und Astronomie mehr als verdoppelt und die eingeworbenen Drittmittel und erschienenen Publikationen erreichen jedes Jahr neue Höchstwerte. Angesichts dieser Fülle erhebt sich die Frage, wie es Physiker schaffen können, aktuelle Entwicklungen auch nur ansatzweise zu verfolgen. Bleibt da eigentlich die Zeit, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und wenn ja, warum sollten wir das tun? Ist die Auszeichnung zur Historic Site lediglich Nostalgie und mithin Verklärung der Vergangenheit oder können wir etwas über die Gelingensbedingungen und Erfolgsfaktoren für herausragende Wissenschaft lernen, die für die Gegenwart und die Zukunft des Physik-Standortes Jena noch immer wichtig sind?

Physik ist auch eine internationale Wissenschaft, für die weltweiter wissenschaftlicher Austausch immer wichtiger wird. Die meisten Ergebnisse der Physik in Jena sind in Kooperationen mit Partnern aus aller Welt entstanden und auch in der Herkunft der Mitarbeitenden und Studierenden spiegelt sich die Internationalisierung wider. Aber auch die Mitarbeitenden der Fakultät werden internationaler. Nahezu keiner der Professoren und nur mehr sehr wenige der wissenschaftlichen Mitarbeiter haben in Jena studiert oder dort die ersten Schritte ihrer wissenschaftlichen Karriere gemacht. Trotz des Zuwachses an Wissen, der zunehmenden Internationalisierung und Mobilität der Physiker ist es umso erstaunlicher, dass die Physik in Jena ihren eigenen »touch« hat. Das reicht von der Auswahl der bearbeiteten Gebiete innerhalb der Physik, der Art wie Wissenschaft gemacht wird, bis zur Sicht von außen. Um die Entstehung der Jenaer Ausprägungen der Physik zu verstehen, ist dieses Buch eine gute Grundlage.

Bisher wurden zu EPS Historic Sites meistens einzelne Gebäude oder Einrichtungen, die eine einzigartige Bedeutung für die Physikgeschichte haben. In Jena gibt man sich da auf den ersten Blick bescheidener, denn man hat nicht ein Gebäude, das eine überragende Bedeutung hat. Es gibt auch weniger die eine ausgewählte Spitzenleistung, sondern vielmehr die kontinuierliche Erbringung von Ergebnissen auf höchstem Niveau über einen langen Zeitraum in einem breiten Themenbereich. Das wird beim Durchblättern dieser Broschüre auch sehr deutlich. Was aber auch beim Lesen auffällt, dass hier mehrere Entdeckungen gewürdigt werden, die trotz ihrer großen Bedeutung für die moderne Wissenschaft, entweder nicht mit Jena in Verbindung gebracht werden, oder deren Entdecker nicht einmal einem größeren Kreis bekannt sind. Ein schönes Beispiel dafür ist die erste Realisierung eines Elektroenzephalogramms (EEG) des Menschen, das dem Psychiater Hans Berger im Jahre 1924 gelang. Deutlich wird auch, dass viele der Entwicklungen nur aufgrund des besonderen »Jenaer Klimas« möglich waren. Dies fußt einmal auf der Tatsache, dass in Jena immer schon anwendungsorientierter gearbeitet wurde als in manch anderen Standorten. Es ging nicht immer nur um den reinen Erkenntnisgewinn, sondern sehr oft auch um die Frage, was kann man damit machen? Diese Anwendungsorientierung erklärt den Erfolg aber nicht. Es braucht auch ein entsprechendes Umfeld, um innovative Ideen in ein funktionierendes Gerät umsetzen zu können.

Wenn in der Physik der Name Jena fällt, denken die meisten Kollegen an Optik. Die Optik hat in Jena eine lange Tradition, die vom Wirken Ernst Abbes im optischen Gerätebau über die Demonstration eines der ersten Laser bis hin zu den heute breit gefächerten Forschungs- und Anwendungsfeldern in der Optik reicht. In Jena werden heute anspruchsvolle optische Systeme entwickelt, Hochleistungslaser mit Rekordwerten gebaut und angewendet, photonischen Systeme für Nanooptik und Quantenoptik erforscht, und neue optische Methoden für Anwendungen in den Lebenswissenschaften bereitgestellt. Diese thematische Breite zeigt sich auch darin, dass allein in der Physik mehr als 20 Professoren auf den unterschiedlichsten Gebieten der Optik forschen. Die internationale Sichtbarkeit ist auch darauf zurückzuführen, dass die Optik in Jena sehr interdisziplinär aufgestellt ist und in vielen Projekten mit Kollegen aus der Chemie, Biologie, Mathematik und Medizin zusammenarbeitet. Um dies auch nach außen zu demonstrieren, haben sich mehr als 50 Professoren und Arbeitsgruppen zum interfakultären Abbe Center of Photonics zusammengeschlossen. Diese Breite und Interdisziplinarität setzt sich in Jena auch in einem fruchtbaren Austausch mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, aber auch vielen Klein-, Mittel- und Großbetrieben in der unmittelbaren Umgebung fort.

Es wäre aber zu kurz gegriffen, die Physik in Jena nur auf die Optik zu beschränken. In der Experimentalphysik hat die Festkörperphysik eine lange Tradition und wichtige Erkenntnisse vor allem in der Tieftemperatur- und der Halbleiterphysik geliefert. Heute hat sich der Schwerpunkt verschoben und es werden neue strukturierte Halbleitermaterialien untersucht, die auch unter anderem in der Optik zum Einsatz kommen.

Wenn auch die Jenaer Physik auf einem Fundament von lokalen Technologien fußt und stets Anwendungen im Blick hat, so gibt es auch sehr erfolgreiche Ausnahmen. Die theoretische Physik in Jena hat eine lange Tradition und auch Nobelpreisträger wie Erwin Schrödinger waren – wenn auch nur kurz – in Jena tätig. Wesentlich prägender für Jena war in dieser Hinsicht Felix Auerbach, der Anfang des 20. Jahrhunderts in mehreren Büchern die theoretische Physik zusammenfasste und somit prägend für viele Physiker war. Heute beschäftigt sich die Theorie mit den beiden Pfeilern unseres modernen physikalischen Weltbilds, der Relativitätstheorie und der Quantentheorie. Aber es wäre nicht Jena, würden die Kollegen in der Theorie nicht mit den Kollegen der Experimentalphysik zusammenzuarbeiten, die die Laborausrüstung für deren visionäre Experimente entwickelt. Und die Physik in Jena wäre nicht komplett ohne die Astronomie, die eine sehr lange Tradition hat, deren Erkenntnisse auch auf hohes Interesse der Bevölkerung stoßen.

In der Vergangenheit wurden in Jena viele herausragende Ergebnisse für die Physik erzielt, die in diesem Buch zusammengefasst wurden. Wir sind aber sicher, sollte es in der mittleren Zukunft eine ähnliche Bestandsaufnahme der Physik in Jena geben, würde das eine oder andere aktuell erzielte Forschungsergebnis Aufnahme in die Neuauflage finden. In der Zwischenzeit wünschen wir Ihnen einen schönen Rundgang durch das historische Jena und freuen uns, wenn Sie auch Zeit finden, sich über die aktuelle Forschung der Fakultät zu informieren.

Christian Spielmann
Dekan der Physikalisch-Astronomischen Fakultät

Vorwort

Die Auszeichnung der Stadt Jena als eine historische Stätte der Physik durch die European Physical Society ist eine besondere Auszeichnung: Jena ist die erste Stadt, der als Gesamtkomplex diese Ehre zu Teil wird. Die Auszeichnung macht deutlich, dass besondere Verdienste in der Wissenschaft nicht nur von genialen Köpfen hervorgezaubert werden, sondern dass es einen sozialen Raum braucht, der wissenschaftliche Innovation befördert. Solch ein Kommunikationsraum war die Stadt Jena und sie ist es bis heute. Es sind institutionelle Strukturen, die es wissenschaftlicher Exzellenz erst möglich machen, wirksam zu werden. Darüber hinaus macht die Auszeichnung als eine internationale und europäische Ehrung deutlich, dass wissenschaftliche Exzellenz immer ein internationales Unterfangen jenseits aller Nationalismen ist.

Dieser Band entstand begleitend zur Auszeichnung der Stadt Jena. Er besteht aus einem einleitenden Aufsatz von PD Dr. Christian Forstner, der das Projekt leitete. Darin arbeitet er die Besonderheiten der lokalen Innovationskultur Jenas heraus und bettet sie in die aktuellen Diskussionen der Wissenschaftsgeschichte ein. Markus Ehberger leistete als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Hauptarbeit im zweiten Projektteil, in der Recherche und dem ersten Textentwurf zu den einzelnen Gebäudebeschreibungen. Die vorliegende Endfassung der Beschreibungen haben beide Autoren abgestimmt.

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Christian Forstner
und Markus Ehberger

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