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NMR: Mein Kompass in der Organischen und Medizinischen Chemie

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 (2023) (2023)

Horst Kessler
NMR: Mein Kompass in der Organischen und Medizinischen Chemie
(Lives in Chemistry – Lebenswerke in der Chemie)
301 Seiten, 239 Abb., Gb., im Schuber, 39,80 €
ISBN 978-3-86225-132-2
Die Autobiographie des Begründers des Bayerischen NMR-Zentrums, ein Leuchtturm der medizinischen Proteinforschung.

 

Vorbemerkung

Mit mittlerweile über 80 Jahren blicke ich auf ein Leben zurück, in dem die Chemie in der einen oder anderen Weise stets eine dominierende Rolle gespielt hat. In dieser Zeit haben sich die Schwerpunkte meines Interesses immer wieder verändert. Wenn ich den Eindruck hatte, ein Gebiet im Prinzip verstanden zu haben, suchte ich nach einer neuen Arbeitsrichtung, die dann, oft auf Kosten des alten Gebietes, ausgebaut wurde.

War es anfangs während meiner Promotion die Synthese kleiner gespannter Moleküle, faszinierte mich bei der Habilitation die innermolekulare Beweglichkeit. Es war gerade bekannt geworden, dass man mit Hilfe der NMR-Spektroskopie solche Prozesse erkennen und deren Energiebarrieren bestimmen kann. Schon nach einigen Jahren waren die meisten Energiebarrieren der thermischen Umlagerungen innerhalb von Molekülen gut abschätzbar. Ich suchte nun nach einem Gebiet, in dem die Kenntnisse der Konformationsanalyse anzuwenden wären und wandte mich den Peptiden zu. Die Bedeutung von Peptiden in biologischen Vorgängen war evident, über deren Raumstruktur und die daraus folgenden Eigenschaften aber nur wenig bekannt. Normalerweise sind Peptide viel zu flexibel, um eindeutige Konformationsbestimmungen zu ermöglichen. Wir begannen mit der Synthese und Konformationsanalyse cyclischer Tri- und Pentapeptide, um die Prinzipien der Kontrolle der Konformationen zu verstehen.

Zur Strukturbestimmung cyclischer Peptide reichten die damals verfügbaren NMR-Methoden aber nicht aus. So setzten wir dann früh mehrdimensionale Techniken ein und entwickelten eine ganze Reihe neuer homonuklearer und heteronuklearer NMR-Methoden. Insbesondere im Zusammenspiel mit molekulardynamischen Rechnungen gelang so die Strukturbestimmung selbst so komplizierter Moleküle wie Antamanid, Cyclosporin, Rapamycin, u.a. in Lösung. Die Anwendung von NMR-Methoden auf Biomoleküle begleitete mich viele Jahre und wurde auch auf interessante Proteine, wie p53, dem „Wächter des Genoms“, oder Chaperone, die zellulären „Anstandsdamen“ der Proteine, ausgeweitet. Ein weiteres gutes Beispiel für die Anwendung von NMR-Technik, wo andere Methoden versagten, war die Beantwortung der spannenden Frage, wie eine Spinne das Protein der Spinnenseide speichern kann, ohne dass es verklumpt – dann aber in Bruchteilen von Sekunden einen Faden bilden kann, der stärker als Stahl ist.

Mein Hauptinteresse in den letzten Jahren war es, einen Beitrag zum Einsatz von Peptiden in der Medizin zu leisten. Mithilfe von Konformationsüberlegungen konnten wir neue „superaktive“ Verbindungen entwerfen, die an Zelladhäsionsrezeptoren, den sogenannten Integrin-Subtypen, mit hoher Selektivität binden. Diese potenziellen Arzneimittel können auch als Hilfsmittel für die Krebsdiagnose und Charakterisierung maligner Phänomene durch Molekulare Bildgebung dienen.

Peptide wurden aufgrund ihrer mangelnden oralen Bioverfügbarkeit lange als ungeeignet für den Einsatz als Arzneimittel angesehen. Bei einigen cyclischen Peptiden konnten wir dieses Problem lösen und damit einen wichtigen Beitrag zu ihrer Anwendung in der Medizin leisten.

Lebenserinnerungen sind immer geprägt von zwischenmenschlichen Beziehungen, sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld. Familiäre und freundschaftliche Bindungen waren und sind auch für mich von entscheidender Bedeutung, kommen aber im Folgenden sicher zu kurz.

Bei meinen Arbeiten habe ich wertvolle Hilfe zahlreicher Mitarbeiter und Kooperationspartner erfahren. Meinen Diplomanden, Doktoranden und Post-Doktoranden versuchte ich viel Freiheit zu lassen und eigenständige Forschung zu ermöglichen. Die von den jungen Wissenschaftlern kommenden Ideen und Beiträge empfand ich stets als ungemein bereichernd. Meine wissenschaftlichen Erfolge verdanke ich somit dem engagierten Einsatz vieler Menschen. Besonders zu nennen sind hier die Kooperationen mit Kollegen, die mich bei der Einarbeitung in neue Arbeitsgebiete geduldig unterstützten. Mehrfach wurden Mitarbeiter von mir temporär in anderen Arbeitskreisen aufgenommen und kehrten dann methodisch versiert zum Abschluss ihrer Arbeiten zurück. Dies garantierte einen zügigen und effizienten Erfahrungsaustausch.

Einige meiner Mitarbeiter und Kooperationspartner werden im Buch in Wort und Bild exemplarisch vorgestellt. Bei 170 Doktoranden, vielen Post-Doktoranden und zahlreichen weiteren Kollegen kann die Erwähnung natürlich nicht vollständig sein, weshalb ich diejenigen, die sich nicht ausreichend berücksichtigt finden, um Verständnis bitte.

Ich habe immer gerne und auch viel gearbeitet. Die dazu nötigen Freiräume verdanke ich in erster Linie der Geduld meiner Frau. Engagement in der Forschung lässt oft nicht die gewünschte Zeit für die Familie, insbesondere auch durch Dienstreisen, die ich alleine antreten musste, während meine Frau sich um unsere drei Kinder kümmerte. Gerade die Reisen und Kongresse ermöglichten es mir aber, aktuelle Entwicklungen schnell mitzubekommen, neue Kontakte zu knüpfen und alte zu erhalten und zu vertiefen.

Mir ist zum Glück ein langes Leben vergönnt gewesen. In dieser Zeit ereigneten sich neben vielen weltpolitischen Veränderungen, die mich z.T. persönlich betroffen haben, auch revolutionäre Umbrüche in Wissenschaft und Technik. Dies exemplarisch am Beispiel meines eigenen wissenschaftlichen Werdegangs festzuhalten, um vielleicht auch jüngeren Lesern Anschauungsmaterial und ein Verständnis der historischen Situationen zu geben, hat mich veranlasst, dieses Buch zu schreiben.

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https://www.gnt-verlag.de/horst-kessler-nmr-autobiographie-2-1132-vorwort.html (Stand: 21.12.2024. 16:54)

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