der Naturwissenschaften
und der Technik
Heisenberg, Hitler und die Bombe
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Michael Schaaf |
Vorwort zur Neuausgabe
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Seit der Erstausgabe dieses Buches im Jahre 2001 ist die mehr als sieben Jahrzehnte alte Debatte1 um Werner Heisenberg und seine Rolle im sogenannten „Uranverein“ immer wieder an die Öffentlichkeit geschwappt. So etwa 2002 durch die Veröffentlichung der Briefentwürfe Niels Bohrs über sein Treffen mit Heisenberg 1941 in Kopenhagen,2 2005 durch die Veröffentlichung von Rainer Karlschs kontroversem Buch „Hitlers Bombe“3 und in jüngster Zeit durch die Thesen von Manfred Popp zur deutschen Atomforschung.4
Erinnerung ist ein offener Prozess, da unser Blick auf die Vergangenheit nicht nur vom Wissensstand über die Geschichte und ihr Wirkungsgeflecht, sondern auch vom Zeitgeist abhängig ist, in dem wir uns befinden. Aus diesem Grund hält der Autor es für geboten, eine überarbeitete und erweiterte Neuausgabe dieses Buches zu veröffentlichen. Hinzugekommen sind Interviews mit dem Physiknobelpreisträger Hans Bethe und dem langjährigen Direktor des Stanford Linear Accelerator, Wolfgang Panofsky. Beide wurden von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben und haben später am amerikanischen Atombombenprojekt mitgewirkt. Mit Hans Bethe, Edward Teller, Wolfgang Panofsky und Victor Weisskopf (siehe Dokument 9) kommen somit vier Mitarbeiter des amerikanischen Atombombenprojektes zu Wort und weiten damit den Blick auf die Konkurrenzprojekte des „Uranvereins“ in den USA und in der Sowjetunion (siehe Panofsky-Interview und Weisskopf-Brief). Ebenfalls neu sind Ergänzungen zum Gespräch mit Paul Harteck, die in der Erstauflage noch nicht berücksichtigt werden konnten. Interessant sind hier vor allem Hartecks Äußerungen zu den Arbeitsbedingungen am Hamburger Institut für physikalische Chemie während des Dritten Reiches. Ergänzt wird die Neuausgabe durch zahlreiche Dokumente und Fotos, zwei Beiträge des Autors zu obiger Debatte, Literaturhinweise zu einigen seit 2001 erschienenen Büchern zum Thema5 und ein Personenregister.
Hans Rothfels nannte die Zeitgeschichte einmal die „Epoche der Mitlebenden“.6 Diese Phase ist nun vorüber. 80 Jahre nach der Entdeckung der Kernspaltung sind mittlerweile alle Interviewpartner dieses Buches verstorben und es gilt, ihre Zeugnisse aufzubewahren, aber auch kritisch zu hinterfragen. Denn natürlich obliegt den Zeitzeugen nicht die alleinige Deutungskompetenz. Vielmehr gilt es, sich von ihren Aussagen zu lösen, sie kritisch zu betrachten und mit den verfügbaren Quellen zu validieren. Dennoch lesen sich die hier abgedruckten Interviews und Dokumente wie ein Tauchgang in die Geschichte. Erkennbar werden die teilweise moralische Überlastung und die daraus folgenden Fehleinschätzungen und Ressentiments der Wissenschaftler. Die Interviews gewähren Einblicke in ihre Denk- und Handlungsräume und lassen sowohl ihre Selbstüberschätzungen und Legitimationsmuster als auch die dahinter stehenden Kollaborations- und Kommunikationsstrukturen erahnen.
Johannesburg, im Oktober 2018
Fußnoten:
1 Im Jahre 1947 veröffentlichte Samuel Goudsmit sein Buch „ALSOS“ und löste damit eine Debatte um die geheime Kernforschung im Dritten Reich aus. Samuel A. Goudsmit: Alsos. New York 1947. „Alsos“ war der Codename einer amerikanischen Geheimmission gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, die herausfinden sollte, wie weit die deutschen Anstrengungen zu einer Atombombe fortgeschritten waren.
2 Siehe <https://www.nbarchive.dk/collections/bohr-heisenberg/documents/> und Kap. 11.
3 Siehe Kap. 12 dieses Buches sowie z. B. Michael Salewskis Rezension „Die Bombenbastler Hitlers“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Juli 2005, online verfügbar unter <http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/politik/-1259417.html>.
4 Manfred Popp: Hitlers Atombombe – Warum es sie nicht gab. In: Spektrum der Wissenschaft 12 (2016), S. 12 ff., online verfügbar unter <https://www.spektrum.de/news/1423529> – Mark Walker: Bombe oder Reaktor? Physikalische und wissenschaftshistorische Perspektiven auf die „deutsche Atombombe“. In: Physik Journal 3 (2018), S. 55. – Manfred Popp: Werner Heisenberg und das deutsche Uranprojekt im „Dritten Reich“: ein neuer Blick auf ein komplexes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte. In: Konrad Kleinknecht (Hrsg.): Quanten 6, Schriftenreihe der Heisenberg-Gesellschaft, Stuttgart 2018.
5 Nicht berücksichtigt werden die zahlreichen neuen Bücher über Albert Einstein.
6 Hans Rothfels: Zeitgeschichte als Aufgabe. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), H. 1, S. 1?–?8, online verfügbar unter <https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/ 1953_1_1_rothfels.pdf>.
Vorwort zur Erstausgabe
„Persönlichkeiten, nicht Prinzipien halten die Welt in Bewegung.“
(Oscar Wilde)
Es gehört mittlerweile zum ehernen Bestandteil der wissenschaftsgeschichtlichen Folklore, die Gründe für das Scheitern des deutschen Atomforschungsprogramms im Zweiten Weltkrieg entweder im fachlichen Unvermögen oder in der mangelnden Einsatzbereitschaft der beteiligten Physiker zu suchen. In jüngster Zeit hat die zum Teil sehr emotional geführte Debatte durch Michael Frayns Theaterstück „Kopenhagen“ neue Nahrung erhalten. Im vorliegenden Buch wird versucht, mit der Methode der Oral History die spezifischen Randbedingungen für das „Versagen“ der deutschen Atomforscher näher zu beleuchten – ein wissenschaftliches Versagen, das ein politischer Segen war.
In Anlehnung an die von James Blight an der Brown University entwickelte Technik der „kritischen Oral History“, wird versucht, Zeitzeugen des geheimen deutschen Uranforschungsprogramms auf der Grundlage inzwischen freigegebener Originaldokumente zu befragen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die ehemals „Geheimen Forschungsberichte“ zur deutschen Atomforschung während des Zweiten Weltkrieges und die 1991 freigegebenen Abhörprotokolle von Farm Hall.
Über 60 Jahre nach Entdeckung der Kernspaltung und der Bildung des sogenannten „Uranvereins“ gibt es nur noch wenige Zeitzeugen, die aus erster Hand über die Forschung in jener Zeit in Deutschland berichten können. Mit Carl Friedrich von Weizsäcker und Erich Bagge gelang es dem Autor, die beiden letzten noch lebenden Wissenschaftler aus dem inneren Kreis des „Uranvereins“ zu ihrer Tätigkeit zu befragen. Zusammen mit Paul Harteck gehörten Weizsäcker und Bagge zu den zehn deutschen Atomforschern, die 1945 von den Alliierten im englischen Farm Hall für ein halbes Jahr interniert worden waren und deren Gespräche heimlich aufgezeichnet wurden. Heinrich Medicus vom Rensselaer Polytechnic Institute (RPI) in Troy (USA) war so freundlich, sein Interview mit Paul Harteck zur Verfügung zu stellen. Harteck war der wohl entschiedenste Förderer des deutschen Kernforschungsprogramms während des Krieges und gehörte neben Werner Heisenberg zu den Protagonisten des „Uranvereins“. Der Peripherie des Uranprojektes sind Rudolf Fleischmann, Willibald Jentschke und Manfred von Ardenne zuzurechnen. Friedrich Hund war zwar nicht in das geheime Forschungsprojekt eingebunden, hatte jedoch als Kollege von Werner Heisenberg und später durch seine wissenschaftshistorischen Arbeiten einen Einblick in die damaligen Geschehnisse und trägt insbesondere durch seine Erinnerungen an die Anfänge der Quantenmechanik und die Angriffe gegen die theoretische Physik im Dritten Reich zum Verständnis der Vorgeschichte des deutschen Uranprojektes bei. Ein Kurzinterview mit Edward Teller, der als ehemaliger Heisenbergschüler während des Krieges am amerikanischen Atombombenprojekt in Los Alamos beteiligt war, ist mit aufgenommen worden, weil Teller einen neuen Aspekt hinsichtlich der Bewertung von Heisenbergs „Versagen“ im „Uranverein“ eröffnet.
Auch wenn sich einige der hier befragten Wissenschaftler gerne als Gegner oder sogar Opfer des Nazi-Regimes sehen, so sind sie doch Teil der Täter-, Zu- und Wegschauergeneration. Durch ihre Lehr- und Forschungstätigkeit, insbesondere aber durch ihren vorauseilenden Gehorsam und ihren moralfreien Pragmatismus haben sie ebenso zur Systemstabilisierung beigetragen wie die Funktionseliten aus Justiz, Wirtschaft und Militär. Einer Exkulpation der Wissenschaft für die NS-Zeit kann nur das Wort reden, wer die besondere Verantwortung von Wissenschaftlern für die Folgen ihrer Forschungsarbeiten leugnet. Konnte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielleicht noch glauben, dass Wissenschaft, Politik und Moral unabhängig voneinander seien, so ist spätestens seit der Entdeckung der Kernspaltung klar geworden, dass unpolitische und unmoralische Wissenschaft ebenso wie unwissenschaftliche und unmoralische Politik die Menschheit in die Katastrophe führen können.
Tatsächlich war Forschung niemals wertfrei, und zu allen Zeiten haben sich Wissenschaftler in den Dienst von Militärs gestellt bzw. wurden ihre Entdeckungen und Erfindungen für militärische Zwecke missbraucht. Die Traditionsfäden reichen hier von der Kernspaltung, über Fritz Habers Ideen für den Gaskrieg im Ersten Weltkrieg und Antoine Lavoisiers Anstrengungen zur Verbesserung der Schießpulverproduktion, bis hin zu Galileo Galileis militärischem Kompass zurück.
Forschung im Dritten Reich stand immer unter einem ganz besonderen militärischen und ideologischen Verwertungsdruck. Die Fokussierung auf die politischen Umstände darf jedoch nicht zur Marginalisierung der wissenschaftlichen Dimension der damaligen Arbeiten führen. Es ist falsch zu glauben, dass es im Dritten Reich keine erstklassige Forschung gab. Als Gegenbeispiele seien hier nur die Raketenforschung, die Aerodynamik und die Physik der kosmischen Strahlung genannt. Viele Forscher etwa auf dem Gebiet der Raketenforschung oder der biomedizinischen Wissenschaften nahmen jedoch bewusst die Anwendung verbrecherischer, menschenverachtender Praktiken wie Zwangsarbeit oder Menschenversuche in Kauf oder förderten sie sogar.
Die Bedeutung der kernphysikalischen Forschungen während des Dritten Reiches liegt in der politischen Dimension der Atombombe. Heute weiß man, dass Kernwaffen das politische Weltgefüge über Jahrzehnte maßgeblich geprägt haben und auch auf absehbare Zeit weiter prägen werden. Die Arbeit der deutschen Physiker im „Uranverein“ bezieht ihre Brisanz daher aus der Frage, wie die Welt heute aussähe, wenn es den Wissenschaftlern gelungen wäre, für Hitler eine Atombombe zu bauen.
Genauso wenig wie die „Geheimen Forschungsberichte“ für sich allein vollständige Abbilder der Wirklichkeit sind, so sind auch Oral-History-Quellen nur aus ihrem historischen Kontext heraus verwertbar. Die hier befragten Wissenschaftler waren zu den Zeitpunkten der Interviews alle schon über 80 Jahre alt, und „Lebenserinnerungen alter Männer sind keine treue Geschichtsquelle“, wie Friedrich Hund zutreffend konstatiert. Die Gespräche sind ex post Projektionen von subjektiv erlebten Wirklichkeiten und damit zwangsläufig ungenau, verzerrt und einseitig. Und doch sind sie mehr als nur Stimmungsbilder alter Physiker. Beim genaueren Zwischen-den-Zeilen-Lesen erweisen sich die Gespräche vielmehr als wissenschaftshistorische Fundstellen, an denen sich vom Betonten auf das Heruntergespielte, vom Gesagten auf das Verschwiegene schließen lässt.
In den zahlreichen Aufsätzen und Büchern, die über die deutsche Nuklearforschung während des Krieges geschrieben wurden, entsteht immer wieder der Eindruck, als ob es sich bei „den Physikern“ in Deutschland um eine homogene Gruppe gehandelt hätte. Aus den Gesprächen wird jedoch klar, dass es zwischen den Forschern zum Teil erhebliche persönliche Spannungen gab. Es wird auch deutlich, dass die Annahme eines komplexen Motivationsnetzes unabdingbare Voraussetzung für ein tieferes Verständnis der Handlungen der beteiligten Wissenschaftler ist. Manche sahen in ihrem Engagement für das Heereswaffenamt eine Chance, ihrem Fachgebiet wieder zu Ansehen zu verhelfen. Wieder andere wollten schlicht ihr Institut durch den Krieg retten. Dem einen ging es um die persönliche Karriere, dem anderen darum, nicht an die Front zu müssen. In vielen Fällen war es jedoch eine Mischung all dieser Motive. Es gab Animositäten zwischen theoretischen und Experimentalphysikern, Generationskonflikte zwischen älteren und jüngeren Wissenschaftlern und Eifersüchteleien um die Nähe zu Koryphäen wie Heisenberg. Diese Uneinigkeit der Forscher trug mit dazu bei, dass es den Deutschen während des Krieges nicht einmal gelungen war, eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion zustande zu bringen, von einer Atombombe ganz zu schweigen.
Neben der Erkundung der persönlichen Trajektorien der beteiligten Wissenschaftler wird auch versucht, die Wissenschaftspolitik des Dritten Reiches zu beleuchten, insbesondere die Vertreibung der jüdischen Physiker und die Angriffe auf Heisenberg von Seiten der Vertreter der sogenannten „Deutschen Physik“.
Ein weiterer Fragenkomplex, der in den Gesprächen wiederkehrt, gilt der Aufspürung der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen in den 20er und 30er Jahren. Dabei wird deutlich, welche prägende Bedeutung wissenschaftliche Schulen, wie etwa in Göttingen oder Leipzig, als Konzentrationspunkte und Keimzellen konzeptgebundener Kommunikation auch für russische Physiker in jener Zeit hatten. Abschließend werden die Gesprächspartner um eine Beurteilung des aktuellen Forschungsstandes der modernen Physik gebeten.
Kapstadt, im Juli 2001