der Naturwissenschaften
und der Technik
Das war’s – Erinnerungen eines Doktorvaters
Übersicht | Inhalt | Vorwort | Links
Günther Maier |
Vorbemerkung
Die Vorbemerkung steht auch als PDF zum Herunterladen zur Verfügung.
Wie kam ich dazu, dieses Buch zu schreiben?
Wie kam ich dazu, dieses Buch zu schreiben? Es war am 6. Juni 2015 „über den Dächern Freiburgs“ im Panorama Hotel Mercure. Karl Reuter hatte seinen Doktorvater zur Feier seines 60. Geburtstags und zugleich zwanzigjährigen Firmenjubiläums eingeladen. Mein Geburtstagsgeschenk bestand aus einigen Seiten eines Textes, den ich geschrieben hatte, um unseren Kindern und Enkeln ein Gespür dafür zu vermitteln, warum ich mich von der Chemie einfangen ließ. Dabei war mir bewusst, dass sich das Informations-Bedürfnis des Opas nicht zwangsläufig mit dem Informations-Hunger der nachfolgenden Generationen decken muss. Dies bekümmerte mich jedoch nicht, denn einen Bericht über sein Lebenswerk schreibt man weniger für andere als für sich selbst.
Ein Doktorand ist nur für wenige Jahre Mitglied im Arbeitskreis. Dies geschieht in dem entscheidenden Lebensabschnitt zwischen Jugend und Erwachsensein. Von vielen Schülern weiß ich, dass sie die Zeit der Promotion als einen besonders schönen und wichtigen Abschnitt ihres Lebens betrachten. Wie die Mitarbeiter-Treffen beweisen, bleibt eine emotionale Bindung bestehen. Viele „Ehemalige“ möchten natürlich wissen, wie nach ihrem Weggang alles weitergegangen ist, ob das Thema ihrer Dissertation weitergeführt worden ist, die Ergebnisse vielleicht zum Start in eine ganz neue Richtung geführt haben, und vieles mehr. Karl Reuter hat mir den Wink gegeben, dass ich diese Informationslücke schließen könnte, indem ich das Textfragment vervollständige und dem gesamten Kreis an Mitarbeitern zugänglich mache. Ich habe zugestimmt.
Ich sah in dem Buch den angemessenen Weg, mich bei all denen zu bedanken, die mir während meines beruflichen Werdegangs zur Seite standen und mit ihrem ermutigenden Enthusiasmus halfen, selbst solche Hürden zu meistern, die zuvor als unüberwindbar galten.
Die Entscheidung, meinen Dank in Form einer Schilderung meines wissenschaftlichen Werdegangs auszudrücken, ist nicht zufällig. Um nackte Fakten zu erfahren, reicht es aus, die in einem Literaturverzeichnis aufgeführten Publikationen anzuschauen. Der Anspruch, ein „Lebenswerk“ vorzustellen, verlangt mehr. Unter dieser Prämisse wird von dem Autor erwartet, dass er ein lebendiges Gesamtbild entwirft, welches ihn selbst einschließt, mit all seinen Phantasien, Wünschen, Nöten und Erfolgen. Der Leser will erfahren, wie Forschung im harten Alltag wirklich abläuft, wie die Zielvorstellungen entstehen, wie sie erfüllt werden können.
Last, but not least gilt: Die schriftliche Fixierung eines Lebenswerks ist ein Zeitdokument und verhindert ein schnelles Vergessen. Ich stelle mir vor, wie in der fernen Zukunft einer meinen Nachfahren auf dem Speicher mein verstaubtes Opus findet und begierig liest, wie sein Urahn einstmals gelebt und geforscht hat.
Ich habe versucht, ein stringentes Ordnungsprinzip für meinen Text zu finden, aber vergeblich. Die jetzt vorliegende Gliederung ist ein Kompromiss und orientiert sich primär an den Forschungsgebieten und innerhalb jeden Kapitels am zeitlichen Ablauf (Karlsruhe, Marburg oder Gießen). Ich beschreibe, wie die Arbeit im Labor praktisch abläuft. Es ist mein Anliegen zu zeigen, dass Forschung trotz ihres vermeintlichen chaotischen Charakters einer inneren Logik folgt. Deshalb habe ich als Leitlinie für die Präsentation unserer Ergebnisse das „Aufbauprinzip“ gewählt. Jeder Versuch geht zurück auf vorangegangene Experimente, bringt neue Ergebnisse und zeigt auf, welche Fragen nunmehr beantwortet werden müssen. So wird aus einem kleinen Pflänzlein ein Baum, dieser verzweigt sich, bildet Ableger – und so fort. Es muss also einen roten Faden geben, der alles miteinander verbindet. Diesen habe ich gesucht, glaube auch, ihn gefunden zu haben. Bleibt mir zu hoffen, dass er trotz der vielen Verknotungen noch erkennbar ist.
Soviel zur Entstehung des Geschenkbandes, den ich beim Ehemaligen-Treffen anlässlich meines 85. Geburtstags an alle Teilnehmer verteilte. Der Jubel war groß, die Überraschung voll geglückt. Maßgebend dafür war ohne Frage die großzügige Förderung durch Karl Reuter, indem er sich als Verleger der „Erstauflage“ engagierte und darauf bedacht war, dass das Buch in seiner äußeren Form und graphischen Gestaltung den Charakter eines Geschenks erkennen ließ.
Für mich war das Ziel erreicht. Es blieb mir aber nicht verborgen, dass mein Partner den positiv ausgegangenen Test als Ermutigung empfand, den großen Wurf zu wagen. Sein Angebot, den Aufbau einer ganzen Autobiographien-Reihe in erheblichem Ausmaß zu unterstützen, fand ich bewundernswert. Keine Frage, dass ich angesichts dieser noblen Geste nochmals zur Feder greifen musste. Dabei hatte ich zu beachten, dass für die „Zweitauflage“ der anzusprechende Kreis nicht mehr auf meine ehemaligen Mitarbeiter beschränkt war.
Die neue, ergänzte Fassung öffnete mir die Augen dafür, welcher Wert einer Autobiographie als Informationsquelle zukommt. Sie bietet die ideale Chance, dem Leser eine authentische Zusammenfassung des wissenschaftlichen Lebenswerks eines herausragenden Forschers zu bieten und zudem die zugehörige Person näher kennenzulernen. Entscheidend dabei ist weniger, ob man alle wissenschaftlichen Details versteht. Der Gewinn ist die Möglichkeit, nahezu spielerisch eine fremde Welt kennenzulernen.
Wenn man sich umschaut, liegen praktisch alle Probleme dieser Welt daran, dass Wissenschaftler und Entscheidungsträger nicht zusammenfinden. Dies fängt bei der Rettung des Klimas an, setzt sich fort bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, geht runter bis zur Hochschulpolitik und endet bei der Frage, wer den Mainstream bei dem rasanten Umbau unserer Gesellschaft dominiert.
Ich habe einen Traum: In ein paar Jahren steht in jeder Bibliothek eine Serie von Autobiographien aus den verschiedensten Bereichen der Chemie. Ein diesem Fach ziemlich kritisch gegenüberstehender Journalist sucht nach einer verlässlichen Möglichkeit, auch die Argumente der Gegenseite zu erfahren. Er versucht es mittels der Lektüre eines der angebotenen Exemplare. Dabei lernt er: Chemiker sind keine Bösewichte. Sie sind fasziniert von ihrem Fach, erbringen mit ihrer Forschung eine bedeutsame kulturelle Leistung, sichern unseren Wohlstand und werden vermutlich diejenigen sein, die irgendwann den Kollaps unseres Planeten verhindern müssen. Mein Traum endet damit, dass der Journalist seine Grundhaltung zur Chemie überdenkt und sich bemüht, zukünftig objektivere Beiträge für seine Zeitung zu schreiben. Und siehe da: In seinem jüngsten Artikel hat die Chemie ihr negatives Image schon fast verloren.