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Geschichte der Rettung

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 (2019) (2019)

Bettina Braunschmidt
Geschichte der Rettung
Die Entstehung des Hamburger Rettungsdienstes zu Wasser, zu Land und aus der Luft
462 Seiten, 43 überwiegend farbige Abb., Gb., 39,80 Euro
ISBN 978-3-86225-121-6
Über die vielfältige Geschichte des Rettungswesens in Hamburg.

 

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Im Folgenden ein Textauszug ohne Anmerkungen.

5  Bodengebundener Rettungsdienst

Unter dem Namen Rettungsdienst sind zwar unterschiedlichste Arten der Lebensrettung zusammengefasst, klassischerweise stellt man sich darunter aber die bodengebundene Rettung per Rettungswagen vor. Aus diesem Grund stellt dieses Kapitel einen gewissen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Trotz stark erweiterter Recherche weist die Quellen- und Literaturlage dieses Kapitels Überschneidungen mit Wagner 2013 auf, wobei der Schwerpunkt anders gewählt wurde. Dennoch wurde die Rettung zu Land chronologisch nach der Wasserrettung eingeordnet, da sie in Hamburg auf deren bereits vorhandenen Strukturen aufbauen konnte, die im vorangegangenen Kapitel 4 „Rettung zu Wasser“ erläutert wurden.

In den Kapiteln 1 bis 3 wurde die Entstehung von Strukturen, Personal und Ausrüstung bereits geschildert. Hier wird nun die individuelle Rolle der beteiligten Organisation, ihre jeweilige Tradition und ihr Verhältnis zu den anderen Rettungsdiensteilnehmern betrachtet.

5.1  Verantwortliche Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes

5.1.1  Polizei

Auf den ersten Blick befremdet die Eröffnung einer Liste öffentlicher Rettungsdienstträger mit der Polizei. Dabei handelt es sich um eine simple Bedeutungswandlung der Bezeichnung „Polizei“. Unter diesem Begriff verstand man im 19. Jahrhundert noch „[…] die gesamte innere Verwaltung des Staates1“, nicht nur die ausführende Gewalt zum Erhalt der öffentlichen Ordnung. Eine bereits bestehende provisorische Polizeibehörde wurde 1814 durch einen Beschluss des Senats auf Dauer eingerichtet, womit Hamburgs Polizei offiziell gegründet war. Die Geschichte der Hamburger Polizei ist damit lang und abwechslungsreich; an dieser Stelle soll jedoch nur ihre Beteiligung am öffentlichen Krankentransport- und Rettungswesen erläutert werden. Diese Aufgabe fiel der Polizei nicht nur in Hamburg zu; aus einer Mitteilung des Reichskanzlers aus dem Jahr 1893 geht hervor, dass im gesamten Deutschen Reich die Polizeibehörden für die Gesundheitsfürsorge und -vorsorge zuständig waren.

Krankentransport und stationärer Rettungsdienst der Polizei 1850?–?1942

Die Hamburger Polizeibehörde stellte 1850 den ersten Krankenwagen, eine Kutsche, in Dienst. Der sogenannte „Stadtleichenmann“ übernahm den Krankentransport von nun an nebenbei, zusätzlich zu seiner bisherigen Aufgabe des Leichenabtransports. Er hatte dafür eigenes Personal und wurde von der Polizeibehörde bezahlt, beschäftigte jedoch möglichst wenige Mitarbeiter, durch deren Anzahl das Budget wohl geteilt werden musste. Seit 1877 kooperierte die Polizeibehörde im Krankentransport sehr erfolgreich mit dem privaten Fuhrunternehmen J. A. Schlüter Söhne. 1891 kam es zur ersten Überarbeitung des polizeilichen Krankentransports inklusive der Beschaffung neuer Fahrzeuge und gezielter Schulung des Personals zur Durchführung von Krankenbeförderungen. Zuständig für die Leitung des Krankentransportwesens war nun die Abteilung VII der Polizeibehörde, verantwortlicher Geschäftsführer war der „1. Sanitäts-Offiziant“. Alle Polizeiwachen waren, sofern an das Feuertelegrafennetz angeschlossen, ab dem 1. Juli 1891 mit einem desinfizierbaren Krankenwagen für Infektionstransporte ausgestattet. Notgedrungen wurde im Cholerajahr 1892 die Belegschaft auf 165 Personen aufgestockt, die während des Höhepunktes der Epidemie täglich bis zu 532 Transporte durchführten.

„Es ist in der Folge eine Sanitäts-Kolonne von zunächst 6 Mann [handschriftlich zu ‚8‘ korrigiert], bestehend aus 2 festangestellten Sanitäts-Offizianten und 4 [handschriftlich zu ‚6‘ korrigiert] auf Kündigung angenommenen Hülfsmannschaften, bei der Polizei-Behörde errichtet worden, welche ihren Posten im Stadthause bezieht und denselben nach vorgeschriebenem Dienst-Turnus Tag und Nacht besetzt. Die Mannschaft der Sanitäts-Kolonne erhalten ein festes Gehalt und angemessene Dienstkleidung1 Sie sind im Krankenträgerdienst ausgebildet und speziell mit der Konstruktion und Handhabung der hiesigen Krankenwagen genau vertraut.1 Zur Erleichterung des Verkehrs ist ihr Postenzimmer im Stadthause mit den Schlüter’schen Geschäftsräumen durch eine besondere Leitung Tag und Nacht telephonisch verbunden.“

Für eine Krankenbeförderung durch die Polizei benötigte man einen Transportschein, der nur von einem Arzt ausgestellt werden durfte. Auf diesem Schein wurde die die Art und die Dringlichkeit des Transports vermerkt. Da man über Besatzungen rund um die Uhr, Krankenwagen und Räderbahren verfügte, war der Ruf dieses frühen Krankentransports gut. Durch die polizeiliche Organisation wurde die gesamte Struktur des Krankentransports langfristig in der öffentlichen Hand verankert und existierte in der öffentlichen Wahrnehmung hauptsächlich dort, trotz bedeutender Unterbrechungen. Dies ist erstaunlich, denn über Jahrzehnte waren Personal, Kutschen und Pferde von der privaten Firma J. A. Schlüter Söhne gestellt wurden.

Am 6. Juli 1893 brachte die Polizeibehörde Hamburg „Dienstvorschriften für die Mannschaften der Sanitätscolonne“ heraus. Sie regelten Kommando, Zahl – zwei Mann pro Transport – und Dienstkleidung der Hilfsmannschaften sowie den Posten am Stadthaus und definierten konkrete Aufgaben. Dazu zählten sämtliche Kranken- und Leichentransporte innerhalb Hamburgs, wofür Ausrüstung und Gespanne gestellt wurden. Die Mannschaften hatten nüchtern und peinlich sauber zu sein und sich höflich zu verhalten. Kranke und Tote mussten mit äußerster Rücksicht und Pietät behandelt werden. Weder die Mitglieder der Sanitätskolonnen noch ihre Ehefrauen durften sich als Bestatter betätigen. Es galt bereits eine Art Schweigepflicht. Für den Transport ansteckend Erkrankter galten besonders strenge Anforderungen an Ausrüstung, Kleidung und Desinfektion. 1900 erschien die „Dienstvorschrift für die Sanitäts-Kolonne der Polizei-Behörde bei Fällen größeren Unglücks“ bei Grefe & Tiedemann. Dort waren auf zehn Seiten Alarmierung, Kommando und ausreichende Anzahl bestellter Krankenwagen in üblichen Unglücksfällen und Großschadenslagen geregelt. Alle Schutzmänner mussten in der Bedienung von Krankentragen ausgebildet sein, die ergänzend zu den eigentlichen Krankenwagen an den Wachen vorgehalten wurden. Für den Hafen galten aufgrund seiner Ausdehnung und teils schlechter Erreichbarkeit gesonderte Regeln zu Alarmierung und Aufstellung, wie in Kapitel 4 „Rettung zu Wasser“ beschrieben.

Die Hamburger Polizei verantwortete um die Wende zum 20. Jahrhundert alle Arten des Krankentransports, auch von Haus zu Haus, was die öffentliche Ordnung eigentlich nicht betraf. Eine Statistik von 1900 zählte in Hamburg 5.615 durchgeführte Krankentransporte, davon 4.180 Liegendtransporte und 733 Infektionsfahrten. Diese Krankentransporte wurden in der Reihenfolge ihrer Bestellung in der Zentralstelle durchgeführt, jedoch mit einer Option, eilige Transporte schneller durchzuführen. Nicht selten kam es zu Wartezeiten von mehreren Stunden. Die Hamburger Polizei hatte sich auch außerhalb des städtischen Kerngebiets um einen Krankentransport zu kümmern, stellte dort jedoch nur die Fahrzeuge zur Verfügung:

„Die Stadt Bergedorf besitzt übrigens einen eigenen Krankenwagen. Den Gemeinden Moorburg, Cuxhaven, Ochsenwärder, Kirchwärder, Geesthacht und Volksdorf hat die Polizeibehörde je einen Krankenwagen zur eigenen Verfügung übergeben.“

Zeitgenossen der Jahrhundertwende hatten nicht viel am polizeilichen Hamburger Krankentransport auszusetzen. Seine zentrale Organisation wurde –, trotz der großen Stadtfläche – von Oberinspektor Klaus Ohlandt als Vorteil gelobt. Ohlandt wäre dennoch bereit gewesen, bei einer großen Stadterweiterung eine dezentrale Organisation zu diskutieren. Der Arzt Alexius Theodor Soltsien sah den Hamburger Krankentransport der Jahrhundertwende etwas pragmatischer: zwar nicht auf der Höhe von Medizin und Technik der Zeit, aber immerhin besser als auf dem Land.

In den ersten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts wuchsen die Anforderungen an den Krankentransport rapide. Die Hamburger Polizeibehörde besaß 1907 schon 41 unterschiedliche Fahrzeuge für den Krankentransport, von denen 25 im täglichen Gebrauch waren. Damit wurden 10.113 Transporte bestritten. 1910 lebten in Hamburg bereits über eine Million Menschen. Der Hamburger Senat bewilligte für die wachsende Bevölkerung viele neue Krankenwagen für die Randgebiete und Nachbargemeinden und diverse Krankenhäuser. Für das Jahr 1912 sind 45 unterschiedliche Krankenfahrzeuge belegt, davon 30 regelmäßig im Dienst. Das Hamburger Medizinalamt bestätigte 1910 wiederholt eine zumutbare Wartezeit von einer Stunde. Diese Stunde könne auch außerhalb des Stadtgebiets von der Hamburger Polizei theoretisch unterschritten werden. Daraus kann man schließen, dass auch Gemeinden außerhalb Hamburgs die Dienste in Anspruch nehmen konnten, wenn sie diese anfragten.

Der Erste Weltkrieg brachte entscheidende Einschnitte in dieses System mit sich. 1917 kam es in Hamburg zu Hungerunruhen. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs, im November 1918, griff der Kieler Matrosenaufstand auf Hamburg über, und es kam erneut zu sozialen Unruhen.

1918 klagte die Polizeibehörde gegenüber dem Medizinalamt, dass das Einsatzaufkommen des Krankentransports von täglich 70 auf 100 Transporte gestiegen sei und die öffentlichen Fuhrwerke in der Stadt nicht ausreichten, weshalb noch mehr Personen die Krankenwagen in Anspruch nähmen. Die Transporte waren nicht mehr zu bewerkstelligen, einige verzögerten sich sogar bis auf den Folgetag. Ärzte wurden deshalb gebeten, Krankentransporte per Krankenwagen nur im wirklichen Bedarfsfall zu verordnen. Dazu stiegen die Kosten für die Krankentransportkutschen durch die Inflation so stark an, dass die Polizei im September 1922 dazu aufrief, die Indikation für einen Krankentransport noch kritischer zu stellen oder ihn lieber gleich per Räderbahre durchführen zu lassen. Nach einer Anfrage der Gesundheitsbehörde an alle Hamburger Krankenhäuser 1929 teilten einige Kliniken – zum Beispiel das Allgemeine Krankenhaus Barmbek –, aber nicht alle mit, dass viele Leichterkrankte statt per Autodroschke per Krankenwagen eingeliefert würden.

Zusätzlich wurde nach dem Krieg die Organisationsstruktur der gesamten Hamburger Polizei reformiert. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg waren viele Soldaten in die bewaffnete Sicherheits- oder Schutzpolizei eingetreten, woran sich die Kriegssieger störten. Daraufhin wurden diese Verbände aufgelöst, und am 8. September 1920 wurde die Ordnungspolizei gegründet. Nun fielen Krankenwagen und Sanitätspersonal unter deren Zuständigkeit. 1929 brachte die Polizeibehörde Hamburg neue detaillierte „Dienstvorschriften für die Beamten und Angestellten der Krankentransportstellen in Hamburg“ im Taschenbuchformat heraus. In der Version vom 2. September 1929 ist festgehalten:

„1. Die Krankentransportstellen sind der Betriebsverwaltung der Polizeibehörde unterstellt. Ihnen liegt der Transport von Kranken und Leichen zu jeder Tages- oder Nachtzeit ob.
2. Die Krankentransportstellen sind in zwei örtlich getrennte Geschäftsstellen eingeteilt.
Die Hauptgeschäftsstelle in der inneren Stadt (ABC-Straße 54, Hof) ist zuständig für die Stadtteile westlich der Alster und im Hafen, die Nebenstelle im Stadtteil Uhlenhorst (Zimmerstraße 31) für die Stadtteile östlich der Alster.
3. Die Betriebsräume sind Eigentum der Firma J. A. Schlüter Söhne.“

Diese Regelung hatte über mehrere Jahrzehnte Gültigkeit.

Neben dem Krankentransport war auch die Lebensrettung, überwiegend in Form des (teil)stationären Rettungsdienstes, endgültig in den Aufgabenbereich der Polizei aufgenommen worden, als zum 1. Januar 1900 die Hamburgische Rettungsgesellschaft endgültig sämtliche Aufgaben der öffentlichen Hand übergab – eine Entwicklung, die sich vorher bereits angedeutet hatte. Das Hamburger Medicinal-Collegium sprach sich nach langem Widerstand nun für eine Erste-Hilfe-Ausbildung der „[…] Polizeimannschaften des Strassendienstes1“ in engen Grenzen aus. Immerhin sah 1909 die Polizeidienstvorschrift in Paragraf 34 vor:

„Alle neu eintretenden Beamten werden innerhalb des ersten Dienstjahres in der ersten Hilfeleistung durch einen Polizeiarzt ausgebildet. Die Unterrichtskurse dauern etwa 2 Monate mit wöchentlich zweimal je 1?½ Unterrichtsstunden in der Mittagszeit.“

Diese Ausbildung in Erster Hilfe war der entscheidende Punkt des neuen Rettungswesens, und so wurden in Hamburg hauptsächlich Polizeiwachen zu Unfallstationen – im Gegensatz zu anderen Städten, wo Vereine diese Stationen betrieben, was sich in Hamburg lange nicht durchsetzte. An den Wachen wurden Verband- und Transportausrüstung bereitgestellt. Diensthabende Ärzte wurden auf Listen zusammengestellt und konnten bei Bedarf telefonisch rund um die Uhr alarmiert werden. Allein 1907 wurden so von der Polizei 2.078 Hilfeleistungen erbracht. Bei Großveranstaltungen und Großunglücken leisteten die Kolonnen des Roten Kreuzes zusätzlich Hilfe. So hatte sich, neben dem eiligen und nicht eiligen Krankentransport, in Hamburg der stationäre Rettungsdienst durchgesetzt. Kranke und Verletzte wurden also an den Unfallstationen paramedizinisch oder ärztlich versorgt und bei Bedarf in Krankenhäuser weitertransportiert. Die Unfallstationen wurden mit Schildern mit der Aufschrift „Öffentliche Unfall- und Verbandstation, auch nachts geöffnet“ kenntlich gemacht und befanden sich, nach Stand 1912, in den ausgerüsteten 58 Wachen der Schutz- und Hafenpolizei, am Hafenkrankenhaus, in Feuerwachen, an taktisch sinnvollen Plätzen und in Krankenhäusern. So wurde bis in die 1930er Jahre verfahren. Bewusstlose und Hilflose – auch Betrunkene – mussten allerdings in speziellen Räumen untergebracht werden, die sich nicht an Polizeiwachen befanden. Hamburgs Polizeipräsident Gustav Roscher war nicht unzufrieden mit der Vermischung dieser unterschiedlichen Aufgaben:

„Die pol[izeiliche] Organisation des Rettungsdienstes hat auch den Vorzug, daß die Pol[izei]Beh[örde] an die Rettungstätigkeit unmittelbar die weitere Fürsorge für Person und Eigentum der Verunglückten oder1 Verstorbenen anschließen kann.“

Stationärer Rettungsdienst und öffentlicher Krankentransport waren zwar unterschiedliche Dienstleistungen, gingen aber naturgemäß an der Nahtstelle des Weitertransports von der Unfallhilfsstelle ins Krankenhaus ineinander über und lagen schlussendlich bis in die 1930er Jahre hinein in derselben Hand, nämlich der der Polizeibehörde. Zu Beginn der 1930er Jahre wurden veränderte Anforderungen an die Gesundheitsversorgung sichtbar. Zwar war die Zahl der Opfer von Seuchen und Unglücken gesunken, und die Zunahme der Verkehrsunfälle wurde bereits bedacht, doch die Zahl der Opfer von Unfällen in Industrie, Strom und Transport stieg. Gegenmaßnahmen waren der Arbeitsschutz und Unfallverhütungskampagnen. Damit stieg die Bedeutung der Berufsgenossenschaften: Bis 1931 war es in Hamburg noch üblich gewesen, dass die Krankenträger auf den Unfallhilfsstellen die Entscheidung über Notfalltransporte eigenständig, ohne Ärzte, trafen. Nach einer Beschwerde des Gesamtverbandes der „Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs Gross-Hamburg“ bei der Polizeibehörde Hamburg teilte diese dessen Bedenken und brachte die Gesundheitsbehörde zum Einlenken. Da es nicht zu Verzögerungen kommen durfte, sollten nun alle bei Arbeitsunfällen Verletzten einem Unfallkrankenhaus zugeführt werden und nicht in der Unfallhilfsstelle verbleiben. Damit hatten die Berufsgenossenschaften ihren Einfluss gezeigt; sie durften jedoch nicht bestimmen, welches Krankenhaus, öffentlich oder privat, angefahren wurde. Die von Gustav Roscher gelobte Unabhängigkeit der Polizeibehörde von anderen Rettungsdienstanbietern hatte in der von ihm beschriebenen Form allerdings schon vorher in Wirklichkeit nicht existiert. Bei einer großen Anzahl von Verletzten waren die Krankenwagen der Polizei schon seit Jahrzehnten zusammen mit der Feuerwehr zum Unglücksort gerufen worden. Bei großen Unglücksfällen und im Katastrophenfall wurden ebenfalls die Samariterkolonnen der freiwilligen Hilfsorganisationen alarmiert. Wenn es sein musste, durften Polizisten außerdem jede Person in der Nähe zur Hilfeleistung auffordern, sie sollten aber stets selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Diese Form der Kooperation wurde auch von einem Zeitgenossen, dem Bremer Arzt Friedrich Bruckmeyer, befürwortet:

„Die Hilfeleistung in der Stadt bietet durch die große Zahl der Ärzte, durch die Einrichtung von Zentral-Unfallmeldestellen und den schnellmöglichen Abtransport durch behördliche oder freiwillige Transportmittel verhältnismäßig günstige Möglichkeiten. Hier ist auch die Zahl der freiwilligen Nothelfer und Sanitätswachen, Bahnhofsanitätswachen, Verbandsstationen in Fabrikbetrieben, Polizei- und Feuerwehr-Rettungswachen, die mit ärztlich ausgebildeten Verbindern und Nothelfern besetzt sind, eine große Gewähr für schnelle und sachgemäße Hilfe.“

Im Zuge „[…] einer reichseinheitlich angeordneten Umorganisation des Krankentransportwesens1“ übernahm 1937 schließlich die Hamburger Gesundheitsbehörde die Verantwortung für Krankentransport und Rettungsdienst von der Polizeibehörde. Kurz darauf wurde unter den Nationalsozialisten der Versuch unternommen, Krankentransport und Rettungsdienst unter dem Deutschen Roten Kreuz zu zentralisieren, was nicht restlos gelang. Damit war die Polizei auf beiden Gebieten endgültig aus der Verantwortung entlassen.

5.1.2  Deutsches Rotes Kreuz

Die Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes ist bereits mehrfach wissenschaftlich aufgearbeitet worden, weshalb sie an dieser Stelle nur angeschnitten wird.

Am 24. Juni 1859 wurde der Genfer Henri Dunant im lombardischen Solferino Zeuge einer Schlacht zwischen französisch-sardinischen und österreichischen Truppen. Die Schlacht von Solferino forderte viele Todesopfer, während die Versorgung der unzähligen Verletzten von Anwohnern nur notdürftig organisiert werden konnte. Nach dieser Erfahrung setzte sich Dunant international für die Verbesserung der gesundheitlichen Bedingungen von Kriegsopfern ein und gewann dafür viele, vornehmlich aristokratische, Unterstützer. Im Oktober 1863 tagte das „Internationale Komitee“ mit Vertretern aus 16 Staaten zum ersten Mal und machte das Rote Kreuz auf weißem Grund, in Anlehnung an die Schweizer Flagge, zu ihrem Symbol, das neutrale Helfer in Kriegsfall kennzeichnen und schützen sollte. Damit war das „Internationale Komitee vom Roten Kreuz“ (IKRK) gegründet. Das Komitee wollte zunächst nur die Schlachtfelder „humaner“ machen, die zivile Wohlfahrt folgte erst später. Mal verwies die Hilfsorganisation in den folgenden Jahrzehnten auf ihre militärische Herkunft, mal verschwieg sie diese. Nur so konnte sie immer handlungsfähig bleiben. Auf dem Frankfurter Rettungskongress 1908 berief sich der Rotkreuz-Vertreter Rudolf von Viebahn auf die militärischen Werte:

„Die unbedingte Gewährleistung einer straffen Ordnung ist einer der ersten Grundsätze in der Leitung und Ausbildung unserer Sanitätskolonnen. Mögen dieselben als geschlossene Formation auftreten oder einzelne Mitglieder tätig sein, wir verlangen unter allen Umständen streng militärische Ordnung und Haltung, Disziplin und Gehorsam. Auch der Grundsatz der Freiwilligkeit ändert hieran nichts; freiwillig ist der Eintritt und der Austritt; zwischen beiden handelt es sich nur um treue Pflichterfüllung.“

Das Rote Kreuz stellte der Gesellschaft seine Dienste jedoch ausdrücklich auch in Friedenszeiten zur Verfügung. Noch 1863 gründete der Pfarrer Christoph Ulrich Hahn die erste deutsche Rotkreuzgesellschaft in Stuttgart, es folgten deutschlandweit viele weitere. Am 20. April 1869 vereinigten sich die Gesellschaften zur deutschen Rotkreuzgesellschaft, aber erst im Januar 1921 entstand aus dem Zusammenschluss aller deutschen Rotkreuzgesellschaften das Deutsche Rote Kreuz (DRK).

Der „Verein zur Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Krieger“ ging am 18. Oktober 1864 aus dem „Komitee zur Pflege von Verwundeten und Kranken“ hervor. Dieses Datum – im selben Jahr trat die Genfer Konvention in Kraft – gilt als das Gründungsdatum des Rotkreuzverbands in Hamburg. Am 26. Januar 1884 entstand die „Hamburger Colonne des Rothen Kreuzes“ aus einer Zusammenarbeit des „Zentralkomitees der Deutschen Vereine zur Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Krieger“ mit dem Hamburger Kriegerverein.

Im Lauf der Zeit stießen weitere Vereine, darunter Frauenvereine, zur Hamburger Rotkreuzgesellschaft und vermehrten deren Mitgliederzahlen und Einfluss. Die Sanitätskolonnen übernahmen um die Jahrhundertwende – in Süddeutschland mehr als in Norddeutschland – Aufgaben eines Rettungs- und Krankentransportdienstes: Sie führten Infektionstransporte durch, begleiteten Großereignisse und halfen im Katastrophenfall. So kristallisierten sich Aufgaben heraus wie die Errichtung von Wachen und Erste-Hilfe-Stationen, das Abstellen von Personal und der Transport von Kranken. Am Hamburger Hauptbahnhof stand seit 1902 ein voll ausgerüsteter Rettungszug für Zugunglücke bereit. Er konnte von der Feuerwache am Berliner Tor alarmiert werden, die per Standleitung mit dem Bahnhof verbunden war. Per Telegraf wurde der „Rotes Kreuz Alarm“ an alle Polizeiwachen ausgegeben. Dort lagen Verzeichnisse aller Kolonnenmitglieder und -ärzte aus, die nun von Polizisten zu Fuß verständigt wurden. Den Rotkreuzsanitätern wurden vor ihren Einsätzen Alarmkärtchen ausgehändigt – rote bei Nacht und weiße bei Tag –, mit denen sie den Nahverkehr kostenlos nutzen konnten. Gleichzeitig unternahm die Reichsbahn alles, um dem Rettungszug priorisierte Fahrt zu ermöglichen. Die Bedeutung der Hamburger Einrichtungen darf aber nicht überschätzt werden; von Viebahn zählte im oben zitierten Vortrag viele vorbildliche Einrichtungen und Sanitätskolonnen des Roten Kreuzes auf, darunter in Dessau und Aschersleben, aber Hamburg war nicht darunter. 1908 unterhielt die Organisation deutschlandweit 688 „ständige Sanitätswachen und Unfallstationen“, 3.335 Unfallmeldestellen, 133 Krankenwagen oder -Kutschen und 8.250 Krankentragen sowie ähnliche Transportgeräte. Sie übte in 460 Städten und 640 ländlichen Kreisen Rettungsdienst aus. Von insgesamt 53.334 Mitgliedern der Sanitätskolonnen waren 1.587 Ärzte.

Über den Krankentransport der Kolonne des Roten Kreuzes Cuxhaven, damals noch Hamburger Gebiet, heißt es in einem Bericht des Hamburger Medizinalkollegiums von 1909:

„Die Kolonne vom Roten Kreuz, Abteilung Cuxhaven, ist an die Kolonne Hamburg angegliedert.1 Wenn auch der Schwerpunkt der Bestrebungen der Sanitätskolonne in der Ausbildung ihrer Mitglieder für den Mobilmachungsfall liegt, so sieht sie doch auch eine hervorragende Aufgabe darin, in Friedenszeiten überall helfend einzugreifen1. In diesem Sinne hat sich die Kolonne Cuxhaven der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt und leistet auf Ansuchen sehr häufig die erste Hilfe bei Verletzungen und Unglücksfällen,1 stellt bei besonderen Gelegenheiten Sanitätswachen und führt den Transport von Kranken und Verunglückten aus. Außerdem unterhält sie 5 Unfallmeldestellen und hat dadurch, daß die Wohnung jedes Mitgliedes, das mit dem nötigen Verbandzeug ausgerüstet ist, durch eine Tafel kenntlich gemacht ist, ein dichtes Netz kleiner Unfallstationen von Groden bis Duhnen gelegt.“

Nach eigenen Angaben hatten sich die Sanitätskolonnen des Roten Kreuzes in ihren Kommunen bald unentbehrlich gemacht. Als Gegenleistung erhielten sie Zuwendungen in Form von Ausrüstung, Kleidung, Ausstattung der Unfallstationen, Versicherungsprämien oder Auszeichnungen und Weiteres. In Gemeinden, in denen Verträge zwischen Stadt und Kolonnen existieren, wurden „[…] die Leistungen der Sanitätskolonnen durch pekuniäre Zuwendungen vergolten1“, also bezahlt. Die freiwilligen Sanitäter waren im Dienst durch eine Haftpflicht- und eine Unfallversicherung über die Kolonne abgesichert.

Für Ingenieure taten sich im ausgehenden 19. Jahrhundert beim Roten Kreuz ebenfalls Möglichkeiten auf. Für Großübungen wurden Krankentransportgeräte für Straße, Schiene und Wasser erfunden. Das „Hamburger System“, eine gefederte Kralle, mit der sich Patiententragen in einem Waggon aufhängen ließen, gewann zwischen 1894 und 1907 sogar mehrere Preise.

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