Verlag für Geschichte
der Naturwissenschaften
und der Technik
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Mark Feuerle |
S["[...] As an undergraduate fifty years ago, I learned two firm facts about medieval science: (1) there wasn`t any, and (2) Roger Bacon was persecuted by the church for working at it. [...]"
Lynn White: Medieval Religion and Technology, Berkeley 1978, S. xi-xii.]
Wie jede Epoche der menschlichen Vergangenheit, so läßt auch das Mittelalter eine Untersuchung seiner Strukturen und "Lebenswirklichkeiten" aus einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Betrachtungswinkel und Fragestellungen zu. In kaum einer anderen Epoche erscheint die Verzahnung von so unterschiedlichen Forschungsgebieten, wie sie die Bereiche der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Religions- und Philosophiegeschichte oder der Ereignis- und Kriegsgeschichte darstellen, dringender geboten. Zwar ist der Abschnitt der Geschichte, den wir heute als Mittelalter bezeichnen und der in etwa die Zeitspanne zwischen Untergang des Weströmischen Reiches und der Entdeckung Westindiens umfaßt, von einer Vielzahl von Einflüssen geprägt, deren exakte Untersuchung durch spezialisierte Forschungsgebiete als geboten erscheint, doch bleibt dabei stets die eigentliche Unteilbarkeit und Universalität des geschichtlichen Prozesses zu beachten, der in seinem Ablauf keine Rücksicht auf den bevorzugten Betrachtungswinkel spezieller Einzelwissenschaften nimmt.
In diesem Kontext erweist sich die Technikgeschichte – so spezialisiert sie dem Laien auch zunächst anmuten mag – gleichsam als Brennglas und Integrationspunkt unterschiedlichster Forschungsrichtungen. So knüpfen sich an die Untersuchung technischer Gegenstände und ihrer Invention und Innovation zahlreiche Fragenkomplexe angrenzender Fachgebiete. Schnell wird hierbei deutlich, daß der technische Gegenstand nicht für sich allein, gewissermaßen separiert vom historischen Umfeld, auftritt, sondern daß er sich stets in den Kontext seines geschichtlichen Umfeldes integriert zeigt. Nahezu jede Technik und jeder technische Gegenstand läßt sich somit einerseits als Ursache weiterer historischer Prozesse andererseits als Wirkung bereits vorangegangener geschichtlicher Entwicklungen begreifen. Hierbei ist nicht allein an den technischen Vor- und Nachlauf zu denken, sondern vor allem auch an mentale und soziale Voraussetzungen und Auswirkungen technischer Innovationen.
So wird die Untersuchung des technischen Gegenstandes einerseits zum Sammelpunkt für Erkenntnisse naturwissenschaftlicher Fachgebiete; beispielsweise wäre hier an die Unterstützung durch die Chemie in Fragen des Verhüttungswesens oder der Physik auf dem Gebiete des Mühlenbaus oder anderer mechanischer Geräte zu denken. Andererseits wiederum bildet der untersuchte Gegenstand den erneuten Ausgangspunkt für begleitende Fragestellungen anderer historischer Fachbereiche. Vielfältig sind hier die "Dienstleistungen", die die Technikgeschichte beispielsweise für die Sozial- oder Wirtschaftsgeschichte zu erbringen vermag. Technik und gesellschaftlicher Wandel stehen in einem engen Zusammenhang, der von der Sozialgeschichte zwar selten bestritten, aber oftmals unterschätzt wird.
Es gibt jedoch einen weiteren Forschungsbereich, dessen Abhängigkeit von der Technikgeschichte weit offensichtlicher erscheint und der wiederum mit der Ereignisgeschichte in direktem Zusammenhang steht: die Militärgeschichte. So wie das Schicksal eines Herrschers oder ganzer Regionen zuweilen vom Ausgang einer militärischen Auseinandersetzung abhängig war, so abhängig war oftmals der Ausgang eben jener militärischen Auseinandersetzung vom Einsatz technischer Geräte oder der Anwendung bestimmter Techniken. Ziviles und militärisches Wissen durchdrangen und beeinflußten einander dabei in vielen Fällen. Zu denken wäre beispielsweise an den militärischen Einsatz technischer Spezialisten aus dem Bereich des Montanwesens, um durch geschicktes Minieren den Ausgang einer Belagerung entscheidend zu beeinflussen. Es sei an dieser Stelle nur auf die gegen Ende des 12. Jahrhunderts aufkommenden Bergbaufreiheiten verwiesen, die dem jeweiligen Privilegienerteiler neben dem ökonomischen Vorteil auch den militärisch relevanten Nebeneffekt sicherten, des Minierens kundige Bergleute in unmittelbarer Nähe zu wissen.
Handelte es sich bei den im Falle des Minierens zu bewältigenden Schwierigkeiten in erster Linie um Probleme, die mit Hilfe bestimmter technischer Verfahrensweisen zu lösen waren, so gilt hingegen auch für den Großteil der technischen Gegenstände des gebräuchlichen Antwerks, daß sie Schmelzpunkt vielfältiger ziviler Fachkenntnisse waren und sich in ihnen der höchste Stand jeweiliger Handwerkskunst vereinte.
Wie bereits angedeutet, darf jedoch auch die rein militärische Dimension technischer Gegenstände nicht in die vermeintliche Marginalität bloßen Spezialwissens verwiesen werden. Ohne Verständnis der Kampfmittel, ihrer Herstellung, ihrer Einsatzmöglichkeiten und der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bleiben uns die Zusammenhänge vieler Quellen und Ereignisse verschlossen. Hierzu gehört auch eine Vielzahl von Quellen, die uns zunächst ohne militärischen Hintergrund erscheinen. So wirken beispielsweise die Passagen spätmittelalterlicher Handwerksordnungen, die Fleischer oder Wurstmacher anweisen, torsionsfähige Innereien (wie Sehnen) nur an einige festgelegte Seilmacher zu verkaufen, unverständlich ohne das Wissen um die Bedeutung torsionsfähigen Materials für die Herstellung von Flachbahngeschützen, die wiederum für die städtische Verteidigung im Spätmittelalter unerläßlich waren.
Die Argumente für eine eingehende Beschäftigung mit den technischen Gegenständen im allgemeinen und mit den Kampfmitteln im besonderen lassen sich ohne Ausnahme auch auf das im Folgenden zu betrachtende Hebelwurfgeschütz anwenden. Hierbei soll zunächst der technische Gegenstand, seine Entwicklung und seine Effektivität im Zentrum der Betrachtung stehen. Des Weiteren werden jedoch auch Fragen nach dem Einfluß des Hebelwurfgeschützes auf das allgemeine Kampfgeschehen im mittelalterlichen Belagerungskrieg und der Kontext des übrigen Antwerks erläutert werden. Schließlich soll auch die "personale Dimension" und die diesbezügliche Quellenlage eine Problematisierung erfahren, die eventuell einen ansatzweisen Einblick in Struktur und sozialen Status der Bedienungsmannschaften zu geben vermag.
Wenn es gelingt, dem Leser die Vielschichtigkeit des vorgestellten technischen Gegenstandes und die bereits angedeuteten Probleme, die sich aus seiner Betrachtung heraus ergeben, plastisch vor Augen treten zu lassen, so soll das Ziel dieser Darstellung erreicht und vielleicht eine Anregung zu weiteren Forschungen gegeben sein.
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