Verlag für Geschichte
der Naturwissenschaften
und der Technik
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Alexander Odefey (Hrsg.) |
»... so ist nichts in der Welt, dabey die Mathematick nicht könte angebracht werden.« In diesen Worten aus dem 1716 in Leipzig erschienenen Mathematischen Lexicon von Christian Wolff (1679?1754) findet sich die Quintessenz seiner Auffassung vom Wesen der Mathematik: Er sieht in ihr und speziell in der ihr eigenen Methode, ausgehend von Definitionen über Axiome, Sätze und Beweise zu unwiderlegbaren Erkenntnissen zu gelangen, das Fundament jeder wissenschaftlichen Betätigung. Wolff, der 1706 die neu eingerichtete Professur für Mathematik an der Universität Halle übernommen hatte, behandelt in seinem Lexicon wie schon in den kurz zuvor veröffentlichten Elementa matheseos universae (Halle 1713/15) die gesamte Breite der damaligen mathematischen Wissenschaften, darunter Mechanik, Hydrostatik, Optik, Astronomie, Geographie, Chronologie und Architektur.
Wer die Gelegenheit hatte, Karin Reichs Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik an der Universität Hamburg zu besuchen, wird manche Übereinstimmungen mit Wolffs Darstellung bestätigen können, etwa ihre sorgfältig geführten Argumentationen und ihre Berücksichtigung nicht nur einer Vielzahl von Aspekten der (eigentlichen) Mathematik, sondern auch zahlreicher Anwendungen. Mehr noch: Ihr viersemestriger Vorlesungszyklus bot zugleich eine umfassende kulturgeschichtliche Einbettung der Mathematik, wenn beispielsweise im dem Orient gewidmeten zweiten Teil auch die Strukturen des Sanskrit sowie der chinesischen und arabischen Sprache oder das faszinierende Zusammenleben von Arabern, Juden und Christen im mittelalterlichen Spanien (Cordoba, Sevilla, Toledo) dargelegt wurden. Und nicht minder aufschlußreich waren im dritten Teil ihre Ausführungen über die Beziehungen Michael Stifels zu Martin Luther und Philipp Melanchthon oder über die Entstehung und Entwicklung des europäischen Universitätswesens. Es ließe sich leicht eine ganze Reihe weiterer eindrucksvoller Merkmale der Vorlesungen von Karin Reich anführen, doch sei hier ergänzend noch an einige der von ihr angebotenen Seminare erinnert. Darunter finden sich neben den regelmäßigen, die vier Vorlesungsteile begleitenden auch immer wieder solche mit speziellen Themen, welche die Geschichte der Mathematik oder ihr nahestehender Gebiete aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchten; zum Beispiel in den vergangenen Jahren: »Enzyklopädien und Enzyklopädismus: von Isidorus von Sevilla bis zu Brockhaus«, »Geschichte der Informatik«, »Gauß als Naturwissenschaftler«, »Die mathematischen Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung: Leonhard Euler und sein Umfeld«, »Mathematikgeschichte hautnah: Oral History am Beispiel der jüngsten Entwicklungen in der Mathematik an der Universität Hamburg«.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen schließlich mehrere von Karin Reich liebevoll organisierte wissenschaftshistorische Exkursionen und – last, but not least – die von Fürsorge, Verständnis und großer Herzlichkeit geprägte Betreuung ihrer Studenten, Doktoranden und Mitarbeiter.
Um noch einmal auf das Mathematische Lexicon von Christian Wolff zurückzukommen: Das Titelblatt nennt neben der Aufgabe des Werkes, »die in allen Theilen der Mathematick üblichen Kunst-Wörter« zu erklären, als ein weiteres Anliegen ausdrücklich, »zur Historie der Mathematischen Wissenschafften dienliche Nachrichten« zu erteilen. Ihm hierin zu folgen ist auch das Ziel des vorliegenden Bandes. Diese Festschrift, die Karin Reich zu ihrem 65. Geburtstag am 13. Oktober 2006 überreicht wurde und die nun im Druck erscheint, vereint Beiträge ihrer ehemaligen und aktuellen Doktorandinnen und Doktoranden sowie der Mitarbeiter und Freunde ihres Institutes an der Hamburger Universität. In Übereinstimmung mit dem breiten Spektrum ihrer Forschungen umfaßt der Band Aufsätze aus der Geschichte der Mathematik sowie der Physik-, Chemie-, Biologie- und Technikgeschichte. Nicht minder weit gefaßt ist dabei der zeitliche Rahmen: Er erstreckt sich von der Altsteinzeit über die Antike bis ins 20. Jahrhundert, wobei die Zeit zwischen 1750 und 1850 einen gewissen Schwerpunkt bildet. So erscheint in gut einem Drittel der hier vorgelegten Untersuchungen der Name des »princeps mathematicorum« Carl Friedrich Gauß, dessen Leben und Schaffen zu den zentralen Forschungsgebieten von Karin Reich gehören. Menso Folkerts rechnet sie in seiner Würdigung (in der von Gudrun Wolfschmidt herausgegebenen anderen Festschrift) explizit zu den kompetentesten Gauß-Forschern. Es seien deshalb hier abschließend Worte aus einem Brief des großen Mathematikers an Caroline Herschel vom September 1825 zitiert, die auch an Karin Reich gerichtet sein könnten. Gauß schrieb: »Ich kann gar nicht aussprechen, wie glücklich mich die persönliche Bekanntschaft mit einer Frau gemacht hat, deren seltner Eifer und hervorragende Begabung für die Wissenschaft mit gleicher Liebenswürdigkeit des Charakters gepaart sind [...].«
Der vorliegende Band hätte ohne die Mitwirkung verschiedener Helfer und Förderer nicht in dieser Form erscheinen können. Mein Dank gilt zunächst Herrn Reinald Schröder für die freundliche Bereitschaft, die Festschrift in seinem Verlag zu publizieren, und für die angenehme und reibungslose Zusammenarbeit. Herzlich gedankt sei auch der Hans Schimank-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg und der ATTOLAB GmbH, Lübeck für die Finanzierung der Drucklegung. Für liebenswürdige Unterstützung, insbesondere bei der Bearbeitung der Abbildungen, danke ich Jenny Mumm, Catrin Pieri und Wolfgang Lange. Schließlich sei auch noch einmal allen Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und die spontane Begeisterung für das Projekt dieser Festschrift gedankt.
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https://www.gnt-verlag.de/zur-historie-der-mathematischen-wissenschafften-1-180-vorwort.html (Stand: 21.12.2024. 15:56)
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