Verlag für Geschichte
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Klaus Hentschel (Hrsg.) |
Dieser Beitrag erläutert die historiographischen Hintergründe des Interesses an "unsichtbaren Händen" und beleuchtet dann Gründe für die öffentliche Nichtwahrnehmung der Amanuenses" in der Forschungspraxis. Darauf folgt die Analyse ausgewählter Bildquellen. Der versteckte Ort des Dankes anerkannter und "sichtbarer" Wissenschaftler gegenüber ihren Helferinnen und Helfern wird u.a. am Beispiel Rowland-Schneider-Jewell illustriert. Abschließend werden die historiographischen Implikationen dieses Ansatzes diskutiert.
Im Heft vom 18. Mai 2007 meldet die renommierte Wissenschaftszeitschrift Science "the increasing dominance of teams in production of knowledge." Gestützt auf statistische Daten zu über 19 Millionen Fachartikeln in der Datenbasis des Institute for Scientific Information (ISI) zeigen die Autoren auf, daß von den Naturwissenschaften bis zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften durchgehend ein starkes Ansteigen von Gemeinschaftsveröffentlichungen zu konstatieren ist. So stieg in den Naturwissenschaften der Anteil der Publikationen von Teams von 50% im Jahr 1955 bis auf 80% im Jahr 2000, während die entsprechenden Anteile in den Sozialwissenschaften im gleichen Zeitraum von 17,5% auf 51,5% stiegen. Selbst in der letzten Bastion der Einzelpublikationen, den "arts and humanities", in der noch immer 90% der Aufsätze nur einen Autornamen tragen, ist die Tendenz zu Teamwork unabweisbar. Auch Patente tragen heute zum mehr als 50% die Namen mehrerer Anmelder. Die durchschnittlichen Teamgrößen steigen ebenfalls an, so für die Naturwissenschaften etwa von knapp 2 in den 1960er Jahren auf 3,5 im Jahr 2000. Die absoluten Rekordhalter in der Teamgröße sind die Hochenergiephysiker in den Großforschungsanlagen von CERN, DESY usw., die mitunter schon mal Teams von einigen Hundert Autoren für Aufsätze verantwortlich zeichnen lassen. Je größer die Forschungsteams werden, desto schwieriger wird es zu entscheiden, wer mit auf die Autorenliste kommt und wer nicht. Aber auch in kleineren Arbeitsgruppen kann dies ein Problem sein: das fängt schon an bei dem angemaßten "Gewohnheitsrecht" vieler Arbeitsgruppenleiter, mit auf die Autorenliste zu kommen. Daß die DFG, die Max-Planck-Institute und andere Forschungsorganisationen mittlerweile in Form von Ehrenkodexen oder anderen Selbstverpflichtungserklärungen alle Mitarbeiter ausdrücklich dazu auffordern, nur diejenigen als Autoren zu benennen, die zu den wissenschaftlichen Ergebnissen tatsächlich auch beigetragen haben, darf als der überfällige Reaktion auf eine weitverbreitete gegenteilige Praxis interpretiert werden. So meldete etwa das Periodikum des Deutschen Hochschullehrerverbandes unlängst unter dem Titel "verheimlichte Mitarbeiter", daß von Pharmafirmen finanzierte Studien häufig von Mitarbeitern (mit)erstellt werden, die in den Publikationen gar nicht erwähnt werden. So werden in dieser Branche offenbar gezielt die Namen der beteiligten Statistiker getilgt, um die Glaubwürdigkeit der Studien zu erhöhen, obgleich gerade von deren Datenmassage die Aussagekraft der Studien über den Wirkungsgrad des jeweiligen Medikaments ganz entscheidend abhängt.
Ein anderer Punkt ist die gewohnheitsmäßige Ausschließung aller derer, die "nur" als Labortechniker, Elektronikspezialist oder als Graphikspezialist an der Erzeugung und Aufbereitung von Daten mehr oder weniger am Rande mitgewirkt haben. So berichtet etwa Hartwig Spitzer in diesem Band (auf S. 247) von dem in seiner Arbeitsgruppe am DESY praktizierten Auswahlkriterium, demzufolge nur diejenigen auf die Autorenliste kommen, die "zum Betrieb oder zur Auswertung des Experiments beigetragen haben, an den Meß-Schichten am Detektor teilgenommen" haben und "in der Lage [sind], die publizierten Ergebnisse nach außen wissenschaftlich zu vertreten". Gerade der letzte Punkt schließt natürlich alle die obigen Techniker oder etwa auch die Scannerinnen, die in der Frühzeit der Auswertung von Blasenkammer-Aufnahmen die Vorauswahl der interessanten' Ereignisse vorgenommen hatten, kategorisch aus (vgl. dazu hier S. 250). Für ebenso selbstverständlich hielt Robert Boyle es im 17. Jahrhundert, daß die Namen seiner Luftpumpenknechte, die ihm stunden-, ja tagelang die Gefäße evakuierten, mit denen er dann seine Vakuumexperimente machte, keiner Erwähnung bedürfen, da diese ja nur manuelle Arbeit verrichteten, ohne von der Sache, um die es ging, irgend etwas zu verstehen (vgl. dazu hier den Beitrag von Steven Shapin, insb. S. 31 ff).
Als Wissenschafts- und Technikhistoriker bin ich weit davon entfernt, diese Entscheidungen von praktizierenden Naturwissenschaftlern und Technikern zu kritisieren, zumal in den meisten Fällen auch die von diesen Entscheidungen betroffenen Handlanger und Assistenten offenbar ganz gut damit haben leben können. Es gilt aber zu konstatieren, daß durch diese Entscheidungen der Nachwelt ein häufig sehr verzerrtes Bild der Wissenschaftspraxis überliefert wird, in der Genies einsam im Labor stehend ganz auf sich alleine gestellt ihre großen Entdeckungen machen. Dieses hagiographische Zerrbild gilt es in der Tat zu kritisieren, erst recht aus der Perspektive einer modernen Geschichtsschreibung heraus, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, wissenschaftliche und technische Praxis zu rekonstruieren. Bei diesem Unterfangen kann es keinesfalls reichen, nur die Spitzen des Eisbergs, die "großen Köpfe", in den Blick zu nehmen, wie vergangene Generationen dies allzu oft getan haben, sondern auch die daneben wirkenden "kleineren Geister", die Instrumentenmacher, Universitätsmechaniker, Labortechniker, Zeichner, die Graphik- und Statistik-Spezialisten und viele andere Amanuenses des Wissenschaftsbetriebs vergangener Zeiten müssen zumindest mit-betrachtet werden. Eben weil diese Handlanger weder in den Veröffentlichungen als Koautoren auftauchten noch sonst in ihrer Bedeutung gewürdigt wurden, stellt sich diese historische Suche nach den "unsichtbaren Händen" des Wissenschaftsbetriebes allerdings als recht schwierig und mühsam heraus. Die zugehörigen sozialhistorischen Recherchetechniken werden von vielen Wissenschafts- und Technikhistorikern, die häufig aus den Fachwissenschaften kommen, nicht beherrscht und der große Aufwand des Durchforstens von Archiven wird gescheut. Um den großen Nachholbedarf der Wissenschafts- und Technikgeschichtsschreibung in diesem Bereich anzuzeigen und mehr Interesse an derartigen Studien zu wecken, hat der Fachverband Geschichte der Physik für seine Jahrestagung 2007 auf meine Anregung hin dieses Thema gewählt. Im folgenden werde ich zunächst die historischen Wurzeln dieses Interesses an "unsichtbaren Händen" aufrollen, die uns in die Frühgeschichte der Prosopographik im späten 19. Jahrhundert zurückführen werden, dann die versteckte Präsenz der Amanuenses anhand ausgewählten Quellentypen sowie die Asymmetrie der erhaltenen Quellen aufzeigen, um dann zu einigen ausführlichen Beispielen für geglückte und weniger geglückte Rekonstruktionen der Rolle jener unsichtbaren Hände überzugehen.
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