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Maschinen für die Massenfertigung

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 (1995) (1995)

Jürgen Ruby
Maschinen für die Massenfertigung
Die Entwicklung der Drehautomaten bis zum Ende des Ersten Weltkrieges
218 Seiten, 88 Abb., Gb., 30,00 Euro
ISBN 978-3-928186-25-4
Ein faszinierendes Kapitel über die Ausweitung der industriellen Massenproduktion.

 

Einleitung

In der hier vorliegenden Arbeit soll die Geschichte der Maschinen für die Massenfertigung anhand der Entwicklung der Drehautomaten dargestellt werden: Sie waren die ersten und zahlenmäßig auch am stärksten vertretenen Werkzeugmaschinen für die automatische Fertigung. Ihr Einsatz ermöglichte nicht nur Produktionssteigerungen in der Massenfertigung, sondern veränderte auch wesentlich Fertigungsmethoden und Qualifikationsstrukturen. Sie sind auch heute noch in Form der Mehrspindeldrehautomaten von Bedeutung für die Massenproduktion. Vor allem in der Zuliefererindustrie wird ein großer Anteil der Fertigung mit konventionellen Automaten bestritten, die ohne die in der Fachliteratur fast ausschließlich behandelte CNC-Technik gesteuert werden.

Maschinen für die Massenfertigung gab es viele. Die ersten wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt und dienten der Herstellung einfacher Teile, wie z. B. Nägel, Nieten usw. Sie waren aber nur für ein Produkt einsetzbar. Kompliziertere und auch andere Teile herzustellen war mit ihnen nicht möglich. Erst mit den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstruierten Drehautomaten gelang es, eine Erweiterung der Produktpalette zu erzielen, da sie mit flexiblen Steuerungsmechanismen ausgestattet waren, die eine Umstellung auf andere Produkte ermöglichten.

Kennzeichnend für Drehautomaten ist, daß sie Werkstücke selbsttätig mit mehreren Werkzeugen bearbeiten können und dabei nicht vom Arbeiter gesteuert werden müssen, d. h. sie können von wenig qualifizierten – angelernten – und damit billigen Arbeitskräften bedient werden. Im Vergleich zur Universaldrehmaschine zeichnen sich Drehautomaten durch eine hohe Produktivität aus, allerdings ist ihr Einsatz nur bei genügend hohen Stückzahlen gleicher zu bearbeitender Teile wirtschaftlich. Die Massenproduktion ist daher die notwendige Voraussetzung und gleichzeitig die Ursache für die Konstruktion und Anwendung dieser Maschinen.

Drehautomaten wurden deshalb in der Frühzeit vor allem in den USA entwickelt und eingesetzt, da infolge des großen Binnenmarktes bei der amerikanischen Industrie eine große Nachfrage nach Teilen herrschte. Bereiche, in denen Einzelteile mit Drehautomaten bearbeitet wurden, waren zunächst die Schrauben-, Waffen-, Uhren- und Nähmaschinenindustrie, später dann die Schreibmaschinen-, Armaturen-, Elektromotoren-, Kugellager-, Fahrrad- und die Kraftfahrzeugindustrie.

Unter Fachleuten ist immer noch die Ansicht verbreitet, daß die Anfänge der Automatisierung in der Produktion nach dem ersten Weltkrieg bzw. sogar erst in den 1950er Jahren liegen. Zwar wird eingeräumt, daß erste Ansätze zur Automatisierung bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen, zugleich aber behauptet, daß es keine nennenswerten Automatisierungserfolge gegeben habe. Außerdem seien Taylorismus, Elektrizität und Mikroelektronik als Grundvoraussetzungen für den Prozeß der Automatisierung anzusehen.

Wenn von der Automatisierung in der Fertigung gesprochen wird, dann ist zunächst zu fragen, welche Art der Fertigung in welchen Industriezweigen gemeint ist. Die Automatisierungslösungen sind z. B. in der chemischen Industrie völlig andere als in der Metallbearbeitung. Aufgrund meiner Forschungsarbeiten zur Geschichte der Automatisierung der Metallbearbeitung – hierbei besonders der Massenfertigung von Drehteilen – ergibt sich ein sehr früher Beginn der Anwendung von Automaten in der Fertigung, die ohne Elektronik, ja sogar ohne Elektrik gesteuert wurden. In dem Spezialzweig der Holzschraubenfertigung wurden bereits um 1860 in den USA, England, Frankreich und Deutschland Drehautomaten eingesetzt. Bei der Firma Funcke & Hueck in Hagen waren es z. B. Mitte der 1860er Jahre über 120 Automaten. Für das Gebiet der allgemeinen Metallbearbeitung liegen Zahlenangaben aus der Zeit um die Jahrhundertwende vor. 1904 hatte z. B. die amerikanische Hartford Machine Screw Co. über 1.000 Drehautomaten in sogenannten Automatensälen im Einsatz. Es handelt sich im 19. Jahrhundert also nicht um einzelne Versuche der Nutzung von Automaten, sondern um eine Ersetzung der Maschinen- durch die Automatenfertigung in größeren Maßstäben, so daß hierbei von einer Automatisierung gesprochen werden kann.

In dem 1988 in der DDR erschienenen und von Rudolf Berthold herausgegebenen dritten Band der »Produktivkräfte in Deutschland, 1917/18 bis 1945« heißt es: Weiter unten wird dann behauptet, daß erst 1925 in Deutschland der erste Revolverdrehautomat der amerikanischen Bauart Brown & Sharpe von den Index-Werken in Eßlingen vorgeführt wurde.

Diese Darstellungen und Datierung müssen revidiert werden, denn wie im folgenden gezeigt wird, hatten bereits in den 1880er Jahren deutsche Firmen Drehautomaten auf den Markt gebracht, und die renommierten Unternehmen, wie Loewe und Pittler, hatten schon lange vor dem ersten Weltkrieg Drehautomaten amerikanischer Bauart in ihren Fertigungsprogrammen. Ebenso sind in Deutschland bereits um 1910 in Firmen, die Produkte in Massenfertigung herstellten, wie z. B. bei Bosch oder Junghans, Automatensäle in Betrieb gewesen. Die Gebrüder Junghans in Schramberg verwendeten zur Herstellung von Uhrenteilen bereits 1910 über 100 Drehautomaten.

Auch war die Zergliederung von Arbeitsvorgängen nach dem Taylor-System keine Voraussetzung für den Automateneinsatz, denn bei den Einspindel-, mehr noch bei den Mehrspindeldrehautomaten, war die Zergliederung bereits schon Jahrzehnte zuvor verwirklicht worden. Das gleiche gilt für die Verkettung nach dem Fließsystem. Bei den Mehrspindeldrehautomaten erfolgte die Verkettung innerhalb einer Maschine, also das Weitergeben des Werkstückes an die nächste Bearbeitungsstation, bereits in den 1890er Jahren. Mit dieser frühen Transferstraße innerhalb einer Maschine wurde es möglich, kompliziertere Werkstücke einbaufertig herzustellen.

Ebenso war die Nutzung der Elektrotechnik – im Gegensatz zu der oft vertretenen These – keine Voraussetzung für die Automatisierung. Franz Ofner, der diese These vertritt, schreibt z. B.: Alle Drehautomaten bis etwa in die 1930er Jahre kamen jedoch ohne die Elektrotechnik aus, die Steuerung erfolgte rein mit mechanischen Mitteln und war sehr zuverlässig. Für die Massenfertigung war die mechanische Steuerung die beste Lösung und hat noch in der Gegenwart, wenn auch in Verbindung mit der CNC-Steuerung, Bestand. Sie war nicht, wie Ofner schreibt, eine Schwachstelle, sondern bildete für die Massenfertigung die zuverlässige Basis.

Die schon von Ofner vertretene These, daß erst die Nutzung der Elektrizität eine Automatisierung ermöglichte, findet sich für den Bereich der Metallbearbeitung auch in dem dritten Band der »Produktivkräfte in Deutschland, 1917/18 bis 1945« wieder. Hier heißt es: Diese Darstellung, die sich auf die 1920/30er Jahre bezieht, ist in dieser Form nicht haltbar. Erstens gab es mittels der Elektroenergie keine Regelungen – das heißt geschlossene Regelkreise – an Werkzeugmaschinen, sondern nur, wie z. B. bei den Nachformdreh- und Fräsmaschinen, offene Steuerketten. Solche teilautomatischen Maschinen waren z. B. die seit 1923 in den USA hergestellten elektrisch-fühlergesteuerten Kopierfräsmaschinen der Keller Mechanical Engineering Corporation, Brooklyn. Zweitens führte der Einsatz des regelbaren mehrmotorigen Elektroantriebs und die Herausbildung der Sondermaschine auch nicht zwangsläufig zur automatischen Maschine, denn der Bau von Automaten war, wie es in den folgenden Kapiteln noch dargestellt wird, nicht vom Elektroantieb abhängig.

Ofner's These hält sich jedoch hartnäckig in der Literatur. So hat noch jüngst Hans-Joachim Braun in seinem Beitrag für den 5. Band der Propyläen-Technikgeschichte festgestellt: Die Bedeutung von Elektrotechnik und Elektronik für die Automatisierung liegt m. E. auf einem anderen Gebiet: Sie haben die Anwendungsmöglichkeiten der Automaten erweitert. Mit ihrer Hilfe wurde es möglich, auch kleinere Serien von Teilen kostengünstig automatisch zu bearbeiten bzw. Arbeitsoperationen zu automatisieren, die sonst einen enormen Aufwand an mechanischen Steuerteilen erfordert hätten. Als Beispiel ist die einfachere Möglichkeit des Querbohrens der Teile auf CNC-Maschinen zu nennen, da hierbei der Hauptantrieb nicht stillgesetzt werden muß.

Die Frage nach der Veränderung von Arbeitsinhalten mit fortschreitender Automatisiertung wird heute fast ausschließlich mit der Verbreitung der CNC-Technik gestellt. Vor allem in soziologischen Untersuchungen zur Automatisierung in der Fertigung und dem damit verbundenen Einsatz von CNC-Maschinen werden die einzelnen Programmiermethoden – hierbei besonders die Werkstatt- und die Zentralprogrammierung – im Maschinenbau und deren soziale Wirkungen auf den Arbeiter diskutiert. Die Probleme der Massenfertigung mit mechanisch gesteuerten Automaten in bezug auf die Veränderung der Tätigkeiten des Arbeiters werden dabei nicht thematisiert. Die Kenntnis dieses Entwicklungsprozesses läßt m. E. aber eine distanziertere Betrachtung der Frage zu, wie sich mit der weiteren Entwicklung der Automatisierung und dem damit verbundenen Einsatz der CNC-Technik die Rolle des Arbeiters im Fertigungsprozeß gestalten wird.

Bislang gibt es weder in der englisch- noch in der deutschsprachigen neueren Literatur eine Monografie zur Geschichte der Drehautomaten. Kurze Darstellungen zum Thema finden sich in einzelnen Buchkapiteln und in wenigen Zeitschriftenaufsätzen. Das Vorhaben von Robert S. Woodbury aus den 1960er Jahren, eine »History of the Turret Lathe and the Automatic Screw Machine« zu schreiben, ist nie verwirklicht worden. Selbst in dem neuesten Buch von Günter Spur über die Geschichte der Werkzeugmaschinen aus dem Jahre 1991 sind im Vergleich zu seinem Artikel von 1967 keine neueren Erkenntnisse zur Entwicklung der Drehautomaten eingeflossen. Auch hat Volker Benad-Wagenhoff in seinem 1993 erschienenen Buch »Industrieller Maschinenbau im 19. Jahrhundert« die Drehautomaten nicht behandelt.

Für die Darstellung der historischen Entwicklung der Drehautomaten wurden vor allem Zeitschriftenartikel – besonders die Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure (ZVDI) und der American Machinist – herangezogen, da in der älteren Literatur zu Werkzeugmaschinen diese Entwicklung kaum behandelt wird. Zur Beschreibung der konstruktiven Details konnte auf die Dissertation von Herbert Kienzle aus dem Jahre 1913 und auf das erste deutschsprachige Buch zu Automaten von Philipp Kelle von 1921 zurückgegriffen werden. Wesentliche Informationen wurden darüber hinaus Firmenschriften, Festschriften und einem unveröffentlichten Manuskript entnommen. Von großer Bedeutung waren schließlich Patente, da anhand der Zeichnungen und der Texte die Erfindung bzw. die jeweiligen konstruktiven Verbesserungen genau nachvollzogen werden konnten. Durch einen Vergleich der später genutzten Automaten mit den Patenten war es möglich, bedeutende von unbedeutenden Entwicklungen zu trennen. Für das Fallbeispiel Pittler wurden die Archivunterlagen des Drehmaschinenwerkes Leipzig verwendet.

Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert, wobei den Hauptteil die Kapitel 3 bis 5 darstellen. Im Gegensatz zu den meisten Veröffentlichungen zu Drehautomaten erfolgt keine alleinige Darstellung der konstruktiven Entwicklung, sondern es wird von den jeweiligen Produkten – wie Holzschrauben, Uhrenteilen und Teilen der allgemeinen Metallbearbeitung – ausgegangen, für deren Massenfertigung Drehautomaten konstruiert wurden. Große Bedeutung kommt auch den wirtschaftlichen Auswirkungen, wie z. B. den Angaben über die Anzahl der eingesetzten Automaten und der Produktivitätssteigerung, zu.

In Kapitel 2 der Arbeit werden zunächst die Begriffe Werkzeugmaschine und Automat geklärt. Kapitel 3 zeigt die historische Entwicklung von der Drehmaschine zum Drehautomaten am Beipiel von England und den USA. Im vierten Kapitel wird die Herausbildung der Drehautomaten anhand der jeweiligen Produkte und deren Einsatz in den USA, der Schweiz, England, Frankreich und Deutschland behandelt. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Entwicklung in Deutschland. Hier wird auch das Fallbeispiel der Firma Pittler dargestellt. Der Frage nach der Veränderung der Qualifikationsanforderungen bei der Arbeit an Drehautomaten wird hier nachgegangen. Den Abschluß bildet das sechste Kapitel, in dem der Einfluß neuer Werkzeuge (wie z. B. der Schnellarbeitsstahl) und des Elektromotors auf die Fertigung mit Drehautomaten und konstruktive Tendenzen und Veränderungen der Steuerungsarten bis zur Gegenwart überblicksartig dargestellt werden.

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