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Kino ist das Größte – Augen auf und rein!

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 (1999) (1999)

Willi Baumann; Reinald Schröder; Hans-Jürgen Wiese
Kino ist das Größte – Augen auf und rein!
Filmgeschichte(n) und regionale Lichtspieltheater – die Kreise Vechta und Diepholz
(Veröffentlichungen des Museums im Zeughaus, Stadt Vechta, Band 2)
185 Seiten, zahlr. Abb., Pb., 10,00 Euro
ISBN 978-3-928186-48-3
Eine Hommage an den Film und das »Provinzkino«: Im Mittelpunkt stehen Filme und Lichtspieltheater in der ländlichen Region zwischen Bremen und Osnabrück, außerdem wird den Spuren des Ufa-Stars Camilla Horn nachgegangen.

 

Das Fenster zur großen weiten Welt – die »Lebenden Bilder« kommen aufs Land (1899-1912)

(Auszug aus dem Kapitel »Kino-Notizen aus der Provinz – Ein Bummel durch die Kinogeschichte der Landkreise Vechta und Diepholz – einst und jetzt« von Hans-Jürgen Wiese)

Als am 1. November 1895 im Varieté »Wintergarten« in Berlin die ersten lebenden Bilder über eine Leinwand flimmerten, waren die Besucher zwar tief beeindruckt, aber nur die wenigsten von ihnen werden geahnt haben, welche umwälzende Neuerung an diesem Tage ihren Siegeszug in die Welt des Showbusiness angetreten hatte. Doch es war so. Schausteller, immer auf der Suche nach neuen Attraktionen, die sie überall ihrem Publikum zu präsentieren gedachten, erkannten sofort die Anziehungskraft des neuen Mediums und erwarben schnell Apparaturen, Filme und sonstiges Zubehör und gingen damit auf die Jahrmärkte oder in Wirtshaussäle, um den zahlenden Besuchern die große Sensation vorzustellen. Das Geschäft entwickelte sich großartig.

Schon am 15. August 1896 war die neue Sensation in Bremen zu sehen. Im »Bremer Courier« vom 13.8.1896 kündigte Paul Behrens, Generalvertreter der Deutschen Automaten-Gesellschaft, »Lebende Photographien« mit dem Cinematographen Lumière im Logengebäude in der Sögestraße 16 an. Programmpunkte waren: Ein Schnellzug, Einstürzen einer Mauer, im Seehafen, Kartoffelfeuer, Skatspieler, Parade in Madrid, Festzug in Budapest und anderes mehr. Die Vorstellungen dauerten etwa 30 Minuten, da die einzelnen Filme nur eine Länge von etwa 15 bis 20 Metern hatten. Der Eintritt kostete 50 Pfennig oder eine Mark, Kinder zahlten die Hälfte. Gespielt wurde, unterbrochen von einer Mittagspause, vormittags von 11 Uhr und von nachmittags bis abends 10 Uhr, der Beginn der Vorführungen war halbstündlich. Der Erfolg war so groß, daß das Gastspiel drei Monate dauerte, in denen das Programm zwölfmal wechselte. Wie aktuell die Veranstalter schon damals waren, zeigt folgende Tatsache: Im September 1896 fand in Breslau ein Treffen des deutschen Kaiser- und des russischen Zarenpaares statt. Bereits kurz darauf, am 6. Oktober, war in Bremen eine Dokumentation mit acht Programmpunkten über das Ereignis zu sehen. Aus dieser Aktualitätenschau haben sich später die Kinowochenschau und naturgemäß die Fernsehnachrichten entwickelt.

Nach einem halben Jahr, am 13. März 1897, war die neue Sensation zum ersten Mal in Osnabrück zu bestaunen. In der »Osnabrücker Zeitung« vom gleichen Tage kündigte das Hotel »Drei Kronen« an der damaligen Bahnhofstraße (heute Wittekindstraße) Vorführungen »Lebender Bilder« in Lebensgröße mit dem »Kinematographen Lumière« an. Die Apparaturen der Brüder Lumière galten damals als besonders ausgereift und sollten für die nächsten zehn Jahre eine führende Position auf dem europäischen Markt einnehmen.

Der Siegeszug der neuen Sensation ging rasch weiter. Ab 1897 zogen die Schausteller durch den ostfriesischen Raum und gaben sich dort buchstäblich die Klinke in die Hand. Der Erfolg war auch hier so immens, daß die Vorstellungen allerorts verlängert werden mußten. So konnte es dann nicht ausbleiben, daß die Tournee auch einmal den ländlichen Raum zwischen Bremen und Osnabrück und somit Vechta erreichen würde.

Als der Leser der »Oldenburgischen Volkszeitung« (im folgenden kurz OV) am 4. November 1899 den Anzeigenteil seiner Heimatzeitung aufschlug, muß ihm mit Sicherheit neben anderem folgendes Inserat ins Auge gefallen sein:

Im redaktionellen Teil hieß es dazu: »Vechta, 3. Nov. Der Biomatograph, diese neue sensationelle Erfindung, wird uns in den nächsten Tagen hier vorgestellt werden. Im Hotel Melchers hier ist der Zauper-Apparat aufgestellt und erfolgt morgen Abend die erste Schaustellung (Vergleiche Anzeige). Der Biomatograph liefert Bilder von verblüffender Naturwahrheit. Alles, was in der Natur lebt und sich bewegt, der Verkehr der auf Straßen und Plätzen flutet, die Wogen des Meeres, der pfeilschnell dahinbrausende Schnellzug mit seinem lebenden Inhalt, der sich auf der Station hastend und drängend ergießt, oder der lebensvolle Stapellauf eines Schiffes mit seinen buntbewegten Zuschauern; dieses Alles sehen wir vor uns greifbar nahe, in unnachahmlicher Natürlichkeit. Sicherlich gehört der Biomatograph zu den Schaustellungen, die selbst hochgespannte Erwartungen noch übertreffen werden.«

Ob sich die Erwartungen erfüllt haben und wie die Resonanz war, ist leider nicht überliefert, jedoch darf man diese Veranstaltung getrost als die erste Filmvorführung in unserer Heimat ansehen und somit haben wir 1999 für unsere Betrachtungen ein wichtiges Jubiläum: »Hundert Jahre Kino im Kreis Vechta«. Das Kino hatte Einzug gehalten in unserer Region!

Schausteller, die sich Apparatur und Filmstreifen gekauft hatten, bereisten in der Folge die ländlichen Gemeinden unseres Gebietes und führten ihre Darbietungen in Wirtshaussälen oder im Sommer in Kinozelten auf den Jahrmärkten vor. Schon im März 1900 hatte sich der nächste Veranstalter mit Namen G. Apitius bei Melchers eingefunden und erneut Vorstellungen gegeben. Am Sonntag, den 1. April 1900, führte ihn seine Gastspielreise nach Lohne, wo er im Saale Haskamp nachmittags und abends seine neuen Bilder vorstellte. Dies ist vermutlich das erste Mal, daß die Lohner Bevölkerung Bekanntschaft mit dem neuen Medium »Film« machte. Nach einem Bericht der OV vom 1. April 1900 wurde die Qualität der Vorführungen hoch gelobt, der ungenügende Besuch allerdings beklagt.

1904 war einem Hinweis in der OV zufolge der Schausteller Hensel, der sich auf diesem Gebiet bereits einen Namen gemacht hatte, mit seinem Etablissement erstmals auf dem Stoppelmarkt zu sehen, eine Angelegenheit, die sich bis mindestens 1912 wiederholte.

Auch andere Orte kamen in den Genuß der neuen Attraktion. So war zum Beispiel 1910 in Carum bei Blömer und in Dinklage im Saal des Bäckers Merz unter anderem der Film »Passionspiele« zu sehen, eine Veranstaltung, die allerdings, wie die OV anschließend berichtete, keinen großen Zuspruch fand, da erst kürzlich ähnliche kinematographische Darbietungen stattgefunden hätten.

Mit der Zeit wurden die Filme länger und erhielten eine Handlung. Mehrere dieser Werke wurden zu einem Programm zusammengefaßt, die Vorstellungen wurden abendfüllend und folglich wurde das Interesse des Publikums größer. Der Zuspruch wuchs. So konnte sich das Kino langsam von den Rummelplätzen entfernen und in zahlreichen Wirtshaus- und Tanzsälen wurden feste Spielstätten eingerichtet.

In Vechta wurden zu Anfang des Jahrhunderts Filmvorführungen überwiegend im Saal Melchers am Alten Markt abgehalten. Das Haus wurde abgerissen und in dem 1912 errichteten, noch heute erhaltenen Neubau, wurden weiterhin – wie zum Beispiel zu Weihnachten des gleichen Jahres – großangekündigte Filmprogramme durch das Hamburger Tonbildtheater vorgeführt. Aus der Bezeichnung des Veranstalters ist zu schließen, daß die Filme bereits mit Musikbegleitung dargeboten wurden. Um die Attraktivität der Darbietung zu erhöhen, wurden laut Werbeanzeige in der OV vom 24.12.1912 nach den Kindervorstellungen an den Weihnachtstagen Geschenke wie Puppen, Kochmaschinen und Eisenbahnen gratis verlost. In den Abendvorstellungen gab es dann für die Erwachsenen unter anderem eine Gans, einen Schinken, einen Kanarienvogel mit Bauer und anderes zu gewinnen.

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