Verlag für Geschichte
der Naturwissenschaften
und der Technik
Christoph Meinel (Hrsg.) |
Instrument und Experiment sind die Erkenntnismittel moderner Wissenschaft. Dem Arzt eröffnen sie diagnostischen Zugang und therapeutischen Zugriff auf den Körper und seine Funktionen; Naturwissenschaftler konstruieren und erschließen mit ihrer Hilfe die Wirklichkeit der Natur; dem Ingenieur wie dem Techniker sind sie Werkzeuge, die Welt zu vermessen und umzugestalten. Instrumente und Experimente spielen im Selbstverständnis neuzeitlicher Medizin, Naturwissenschaft und Technik die entscheidende Rolle.
Mit Fernrohr, Mikroskop und Luftpumpe begann im 17. Jahrhundert der Siegeszug einer Wissenschaft, deren Macht sich genau darin erwies, daß sie mit Hilfe von Instrument und Experiment nicht allein Unsichtbares sichtbar zu machen, sondern auch neue Wirklichkeit zu erzeugen vermochte, wie das Vakuum eine war. Schon Francis Bacon hatte erkannt, daß damit der traditionelle Naturbegriff um den einer neuen, vom Menschen hervorgebrachten Natur erweitert war.1 Als Schlüssel zum Weltverständnis und als Mittel der Weltbeherrschung erwies sich die experimentelle, auf Instrumente gestützte Wissenschaft anderen Umgangsweisen mit der Natur bald überlegen.
Die Dame Vernunft, die Immanuel Kant 1787 »mit ihren Prinzipien ... in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen«2 hieß, hatte für Instrumente offenbar keine weitere Hand mehr frei. Und es hätte den Königsberger Gelehrten wohl auch irritiert, wenn Gerätschaften aus Holz und Glas und Messing in jener nicht vorgesehenen dritten Hand begonnen hätten, von sich aus Fragen aufzuwerfen und Antworten auf nie gestellte Fragen zu produzieren. Kants Wissenschaftsbegriff verkennt die soziale Natur der Wissensproduktion wie auch die Materialität ihrer Hilfsmittel und Objekte. Doch schon ein Jahr, nachdem die zitierte Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft erschienen war, stellte ein irischer Naturforscher – vielleicht gar mit ironischen Seitenhieb auf die Philosophen und Wissenschaftstheoretiker seiner Zeit – lapidar fest, daß die neuere Philosophie ihre Existenz einzig und allein der Erfindung eines Instruments, nämlich des Barometers, verdanke: »It may with truth be asserted, that it is to this instrument that modern philosophy owes its existence, and modern Europe its superiority over all other regions.«3
In welcher Weise jedoch mit Hilfe von Instrument und Experiment Realität erschlossen oder neue Wirklichkeit erzeugt und wie dies dann Teil wissenschaftlicher Erkenntnis und erfolgreicher Praxis wird, ist alles andere als trivial. Gleichwohl hat das Verhältnis von Instrumentation, Experimentation und Theoriebildung erst in jüngster Zeit die gebührende Aufmerksamkeit seitens der wissenschaftshistorischen Forschung erfahren. Einen äußeren Anstoß gab die Erfahrung jener 'Zweiten Naturwissenschaftlichen Revolution' der Gegenwart, in deren Folge die materielle Kultur der Wissenschaft eine rasche und nachhaltige Transformation erlebt hat. Der Arbeitsplatz eines modernen Internisten, Biologen oder Maschinenbauers hat wenig mehr mit dem gemein, wie Klinik, Labor oder Technikum noch zu Beginn des Jahrhunderts aussahen. Mittlerweile sind die gegenständlichen Zeugnisse jener Zeit selten geworden oder gar schon verschwunden. Schon 1946 wurde daher die Forderung nach einem weltweiten Inventar alter wissenschaftlicher Instrumente laut, 1958 tat die International Union of History and Philosophy of Science die ersten Schritte zu seiner Verwirklichung. Doch das Unternehmen blieb ein Torso und – schlimmer noch: Historiker der Wissenschaften, seit jeher gewohnt, die Geschichte von Begriffen, Ideen und Theorien aus Büchern und Manuskripten zu rekonstruieren, wußten mit den gegenständlichen Zeugnissen der Wissenschaftskultur nicht viel anzufangen. Instrumente galten als historisch unergiebig, bestenfalls als verdinglichte Theorien begreifbar und höchstens zur Illustration populärer Bücher zu gebrauchen. Sich näher mit der materiellen Kultur der Wissenschaften zu befassen, blieb meist Sache der Museen und ihrer Kuratoren.
Seit den 1930er Jahren entstanden die ersten instrumentengeschichtlichen Monographien, die ihren Gegenstand um seiner selbst willen, doch häufig als Fortschrittsgeschichte einer technisch-apparativen Evolution darstellten; zwar in den Kontext der Wissenschaftsentwicklung eingebettet, doch ohne immer zu fragen, wie denn im einzelnen Erkenntnisgewinn, Forschungspraxis und Instrumentation miteinander wechselwirken. Solange Meß- und Beobachtungsinstrumente als prototypisch für den Begriff 'des' wissenschaftlichen Instruments und die damit gewonnene Erkenntnis als unproblematische Operationen des Abmessens und Hinsehens, die Instrumente gewissermaßen als transparent auf die äußere Wirklichkeit hin galten, blieb auch das epistemologische Interesse an ihnen marginal. Eher waren es Fragen nach Design und Symbolwert, nach Herstellern und Werkstätten, nach lokalen Traditionen und europäischen Handelswegen, nach Sammlern und Sammlungen, die hier und da von Historikern aufgegriffen wurden.
Es war schließlich Derek J. de Solla Price, der pointiert feststellte, daß sich die »blatant and naive insistence that scientific instruments arose as tools for measurement,« dem Mythos verdanke, Naturwissenschaft habe es wesentlich mit Ideen zu tun und Instrumente seien nichts weiter als »tools of the scientist for the very practical purpose of making measurements and testing hypotheses by experiment.«4 Damit war die Frage nach den Beziehungen zwischen Instrument, experimenteller Praxis, Erkenntnisgewinn und Theoriebildung erneut aufgeworfen.
Die Wissenschaftsgeschichtsschreibung hat seit Mitte der 1980er Jahre eine Fülle hervorragender und methodisch innovativer Studien zu diesem Problemkreis beigesteuert. Dabei zeigte sich eine so große Vielfalt der Zwecke und Funktionen instrumentell-experimenteller Praxis, daß eine einheitliche Definition oder eindeutige Typisierung 'des' wissenschaftlichen Instruments ebensowenig möglich sein dürfte wie eine solche 'des' Experiments. Da gibt es die Meßinstrumente, die man lange »mathematische Instrumente« genannt hat, neben solchen, die nicht Vorhandenes messen, sondern neue Effekte hervorbringen und im engeren Sinne »philosophische Instrumente« hießen. Andere Instrumente 'verlängern' gewissermaßen die Sinnesorgane und schaffen dabei zugleich eine neue Qualität von Erkenntnis; andere erlauben, unter besonderen Bedingungen (Drücken, Temperaturen) zu experimentieren; andere geben Normwerte und Meßstandards vor; andere wieder kontrollieren oder steuern Prozesse; schließlich können Instrumente visuelle Repräsentationen von Daten erzeugen oder selbst Modelle der Natur oder einer technischen Vorrichtung sein. Und all diese Typen lassen sich in sehr unterschiedlicher Weise verwenden: für Zwecke der Forschung, als didaktische Hilfsmittel oder auch als technisches Gerät. Und dabei wiederum können sie Funktionen erfüllen, die über die rein technisch-wissenschaftlichen hinausgehen: als pädagogische Vehikel bei der Vermittlung zwischen Experten und Öffentlichkeit, als rhetorische Mittel im politischen Diskurs, als Zeichen von Autorität und Prestige oder zur Legitimation von Ansprüchen.
Ähnlich vielfältig und problematisch – mithin auch der historischen Erforschung bedürftig – ist die Rolle des Experiments bei der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis. Anders als wohlmeinende Pädagogen uns glauben machen wollen, bleiben experimentelle Befunde widersprüchlich und kritisierbar. Schlußfolgerungen aus Experimenten sind ihrer Natur nach offen. Nicht das Experiment allein schon bestimmt, was aus ihm folgt. Der Konsens der Wissenschaftlergemeinschaft hängt an vielen Faktoren. Nur einige davon gehen in den Begründungs- und Rechtfertigungskontext wissenschaftlicher Publikationen ein; andere bleiben Bestandteil der Praxis oder gehören zur materiellen Kultur von Wissenschaft.
Funktionen und Zwecke instrumentell-experimenteller Wissenschaftspraxis, wie auch Verläßlichkeit und Glaubwürdigkeit der damit gewonnenen Erkenntnisse, sind daher Resultat komplexer Vermittlungsprozesse; und es ist gerade die Kontexthaltigkeit der Beziehungen zwischen Instrument, Experiment und Wissenschaftspraxis, die die historische Faszination dieses Arbeitsgebietes ausmacht.
Um diese in der neueren Forschung intensiv diskutierten Fragestellungen aufzugreifen und um ein Forum für disziplinübergreifende und vergleichende Ansätze zu schaffen, hatte die Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik zu ihrer 80. Jahrestagung im September 1997 nach Regensburg eingeladen. Unter dem Rahmenthema »Instrument – Experiment« sollten in historiographischer und methodologischer Hinsicht Zwischenbilanz des Forschungsstandes gezogen, neue Arbeiten vorgestellt und künftige Perspektiven diskutiert werden. Der Tagungsort war nicht ohne Bezug zum Tagungsthema: Eine Art Siegessäule der empirischen Naturforschung aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, die einzigartige steinerne Sphaera des Wilhelm von Hirsau, erinnert im Historischen Museum der Stadt daran, wie heftig darum gestritten wurde, ob es überhaupt möglich sei, mit Hilfe von Empirie und Instrumenten wahre Erkenntnis zu gewinnen, und ob es erlaubt sei, dieserart gewonnenes Wissen gegen die Macht der Überlieferung auszuspielen. Und 1654 hat Otto von Guericke als Gesandter beim Reichstag, nur wenige Schritte vom Ort der Regensburger Jahrestagung entfernt, vor Kaiser und Reich die Erzeugung des Vakuums erstmals öffentlich demonstriert.5
Dem Selbstverständnis der Gesellschaft entsprechend, sollte das Thema »Instrument – Experiment« nicht nach Disziplinen gesondert behandelt werden. Instrumente sind Vermittler. Sie verbinden Disziplinen und Wissenskulturen: der Computertomograph die des Physikers, des Arztes und des Technikers; das Spektrometer die des Chemikers, des Physikers und des Astronomen. Instrumente bewirken den Transfer von theoretischem Wissen und praktischem Tun, markieren aber zugleich Grenzlinien fachlicher Expertise und werden gelegentlich selbst zum Ausgangspunkt von Prozessen der Disziplinbildung. Instrumente sind materielle Vermittler zwischen Wissenschaftskulturen. Die moderne Globalisierung des Wissens läßt uns oft vergessen, wie lokal und wie kontingent wissenschaftliches Wissen beginnt, wie lange es etwa gedauert hat, bis die Differenz zwischen den Zentren des Instrumentenbaus in Paris oder London und der Peripherie nivelliert war, und wie lange weiterhin, bis die Instrumente der Forschungslabors auch in der Industrie, in der freien Natur oder im Haushalt verwandt werden konnten. Als materielle Vermittler zwischen den Gruppen der Wissenschaftler, der Hersteller, des Marktes und der Gesellschaft als ganzer, transportieren Instrumente nicht allein die Resultate der Wissenschaft, sondern initiieren und strukturieren gesellschaftliche und kulturelle Praxis.
Die Gruppen, zu denen die Beiträge dieses Bandes zusammengefaßt sind, sollen derartige inhaltliche Vernetzungen schaffen und vertraute disziplinäre Einteilungsmuster aufbrechen. Nach einleitenden historiographischen und methodologischen Perspektiven folgen Fallstudien zur Rolle von Instrumenten bei der Herstellung von Wirklichkeit, zur Etablierung neuer instrumenteller Verfahren, zum Verhältnis von instumentell vermitteltem Sehen und wissenschaftlicher Erkenntnis, zur sozialen Praxis der Instrumentation und zur Materialität der Instrumente. Innerhalb der einzelnen Gruppen sind die Beiträge chronologisch geordnet.
Die in diesem Band gesammelten Aufsätze präsentieren nicht nur den wissenschaftlichen Ertrag einer ungewöhnlich erfolgreichen Jahrestagung. Sie bieten darüber hinaus – gerade auch in der methodischen und thematischen Vielfalt der einzelnen Ansätze – einen durchaus repräsentativen Überblick über den gegenwärtigen wissenschaftshistorischen Forschungsstand. Für die Veröffentlichung des Bandes ist dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik zu danken, und daß dies in der vorliegenden Form geschehen konnte, auch der Hans R. Jenemann-Stiftung in der Gesellschaft Deutscher Chemiker, die mit einem Druckkostenzuschuß geholfen hat.
1 Francis Bacon: Parasceve ad historiam naturalem et experimentalem (1620). In: The Works of Francis Bacon. Hrsg. von James Spedding u.a. Bd 1, London 1858, S. 391-403, hier S. 395.
2 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Auflage (1787) (Kants Werke in sechs Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd 2). Darmstadt 1966, S. 23 (B XIV).
3 Richard Kirwan: Essay on the variations of the barometer. Transactions of the Royal Irish Academy 2 (1788), S. 44.
4 Derek J. de Solla Price: Philosophical mechanism and mechanical philosophy. Some notes towards a philosophy of scientific instruments. Annali dell'Istituto e Museo di Storia della Scienza di Firenze 5/1 (1980), S. 75-85.
5 Gelehrtes Regensburg – Stadt der Wissenschaft. Stätten der Forschung im Wandel der Zeit. Hrsg. von der Universität Regensburg. Regensburg 1995.
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