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Ralf Hahn |
Unter dem Eindruck der alliierten Reparationsforderungen machte Fritz Haber sich nach dem Ersten Weltkrieg Gedanken darüber, das im Meerwasser enthaltene Gold zu gewinnen und es dadurch dem Deutschen Reich zu ermöglichen, die Forderungen zu begleichen. Er ging von einem ungefähren Goldgehalt von 6 mg pro Tonne Meerwasser aus und beauftragte zwei Doktoranden, im Laborversuch die prinzipielle Durchführbarkeit zu prüfen. Nachdem diese an künstlich hergestelltem Meerwasser und an 3%iger Natriumchloridlösung mehrere Verfahren entwickelt hatten, die im Labor zuverlässige Ergebnisse lieferten, begann unter Habers Leitung die Entwicklung eines technischen Extraktionsverfahrens.
Die Mittel des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie, dessen Direktor Haber war, waren in der Nachkriegs- (und Inflations-)zeit beschränkt. Er rechnete allerdings mit beträchtlichen Kosten für die Verfahrensentwicklung und vor allem für die Forschungsfahrten, die der genauen Goldgehaltsanalyse in den Meeren und der praktischen Erprobung des Verfahrens dienen sollten, und suchte daher Geldgeber für das Projekt. Er fand sie in der Degussa und der Metallgesellschaft, mit denen im Dezember 1922 ein Vertrag über die Finanzierung der Forschungen geschlossen wurde. In engem Kontakt mit der Hapag-Reederei wurde an Bord des Dampfers Hansa ein Labor eingerichtet.
Im Juli 1923 fuhren Haber und drei seiner Mitarbeiter auf der Hansa von Hamburg nach New York. Während dieser Atlantiküberquerung nahmen sie zahlreiche Wasserproben, die zum Teil sogleich an Bord des Schiffes auf ihren Goldgehalt hin untersucht wurden, und erprobten eine an Bord installierte Extraktionsanlage. Die gefundenen Goldgehalte waren stark schwankend, lagen im Durchschnitt etwas unter den Erwartungen, zum Teil aber auch darüber. Die Extraktionsanlage funktionierte nur unvollkommen und unter großen apparativen Schwierigkeiten.
Kurz danach erfolgte eine zweite Atlantikfahrt auf der Hansa, an der Haber selbst nicht teilnahm. Die ermittelten Goldgehalte waren geringer als bei der ersten Fahrt. Im Herbst des Jahres 1923 erfolgte eine Erforschung des Südatlantik. An Bord der Württemberg, auf der ein nach den bisherigen Erfahrungen verbessertes Laboratorium eingerichtet worden war, fuhr Haber, begleitet von drei Mitarbeitern, nach Buenos Aires. Die während dieser Fahrt untersuchten Wasserproben ergaben noch geringere Goldgehalte, im Hinblick auf die technische Extraktion wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt.
Das Ergebnis dieses ersten Jahres praktischer Versuche war entmutigend: die gefundenen Goldgehalte waren beträchtlich geringer als es für eine wirtschaftliche Ausbeutung erforderlich gewesen wäre, und die Extraktion in technischem Maßstab lieferte ebenfalls nicht die erhofften Resultate (was aber im Hinblick auf die gefundenen geringen Goldgehalte zweitrangig war). Zu weiterer Hoffnung berechtigten allerdings die teilweise sehr hohen Werte, die bei der ersten Fahrt mit der Hansa gefunden worden waren.
Im KWI für physikalische Chemie setzten nun Aktivitäten in zweierlei Hinsicht ein. Es erfolgte eine weitere Bearbeitung und Vervollkommnung der Analysemethoden, in deren Verlauf die Nachweisgrenze für Gold auf etwa 109 g gesenkt wurde. Die wichtigsten Verbesserungen waren die Einführung der Zentrifugation anstatt der zeitraubenden Filtration und die Verfeinerung der Kupellationsmethode, die der direkten Bestimmung des Goldes diente. Zudem wurde klar, daß man bei den ersten Bestimmungen nicht genau genug auf die Abtrennung des ebenfalls im Meerwasser enthaltenen Silbers vom Gold geachtet hatte. Viele frühe Ergebnisse waren deshalb zu hoch, weil die nach der Kupellation unter dem Mikroskop ausgemessenen »Gold«-Perlen einen nicht unerheblichen Anteil an Silber enthalten hatten. Für die genaue Bestimmung war es überdies von großem Nachteil, daß man nicht wußte, in welcher Form das Gold im Meerwasser vorlag. Die anfängliche Vorstellung, daß Gold in Form gelöster Salze der Goldchlorwasserstoffsäure im Meerwasser enthalten sei, erwies sich als falsch. Das Meerwasser enthielt stets soviel reduzierende Stoffe, daß man zu einem beträchtlichen Teil von metallischem Gold in kolloidaler Verteilung ausgehen mußte. Erschwert wurden die Bestimmungen zudem durch die im Meerwasser enthaltenen Nebenbestandteile. Namentlich das Plankton sei an dieser Stelle erwähnt, das in wechselnder Menge und Verteilung auftrat und vor allem indirekte Bestimmungsmethoden unmöglich machte. Es zeigte sich, daß die Übertragung der im Labor unter genau definierten Bedingungen gefundenen Verfahren in die unberechenbare Praxis nicht problemlos erfolgen konnte.
Dennoch ließen einige anfangs gefundene hohe Goldgehalte, die auch unter Berücksichtigung der verbesserten Methoden noch als korrekt angesehen wurden, einen Funken Hoffnung übrig. Haber glaubte an die Existenz von regional begrenzten Meeresgebieten, die einen überdurchschnittlichen Goldgehalt haben könnten, bedingt beispielsweise durch unterseeische goldhaltige Quellen. Diese Hoffnung bestimmte die zweite Arbeitsrichtung im KWI für physikalische Chemie. Es wurden insgesamt mehr als 5.000 Meerwasserproben untersucht, die entweder auf den eigenen Versuchsfahrten geschöpft worden waren oder die durch Habers weitreichende internationale Verbindungen aus vielen Teilen der Welt von Forscherkollegen und Reedereien an das Institut gesandt worden waren.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen war ernüchternd. Die ermittelten Durchschnittsgehalte an Gold wurden immer kleiner und nirgends fand sich ein vielversprechendes Gebiet mit wirtschaftlich lohnendem Goldgehalt. Auch die höchsten gefundenen Einzelwerte lagen weit unter der wirtschaftlich als lohnend angesehenen Grenze von 3 bis 4 mg/t. Im Jahr 1927 ließ Haber einen Mitarbeiter an der letzten von vierzehn Atlantiküberquerungen des Forschungsschiffes Meteor teilnehmen. Der Durchschnitt der von ihm ermittelten Goldgehalte lag bei nur 0,0044 mg/t, also einem Tausendstel dessen, was für ein wirtschaftlich arbeitendes Verfahren notwendig gewesen wäre.
Haber, der vor allem in den Jahren 1922 und 1923 fast seine gesamte Arbeitskraft vollständig dem beschriebenen Projekt gewidmet hatte, mußte sich mit einem Scheitern abfinden. In wissenschaftlicher Hinsicht wurde zwar einiges erreicht, so die Optimierung der Nachweismethoden und die bessere Kenntnis über den Zustand des Goldes im Meerwasser, aber wirtschaftlich war man erfolglos geblieben. Rückblickend schrieb er 1927 in bezug auf die anfänglich gefundenen, zur Hoffnung berechtigenden Werte:
»Solche seltene Zufallswerte haben uns anfänglich irregeführt. Die älteren Analysen aus der Literatur würden uns nicht genügt haben, um den Gegenstand in der geschilderten Art aufzunehmen und jahrelang zu bearbeiten, wenn sie nicht eine scheinbare Bestätigung durch einige selbst untersuchte Proben gefunden hätten. Wir beherrschten damals die analytischen Methoden nicht so, wie jetzt nach mehrjähriger weiterer Beschäftigung mit dem Gegenstande und die Art der Probenahme gab nicht dieselbe Gewähr. Immerhin ist die Arbeitsweise mannigfach variiert worden und die Wahrscheinlichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß die Werte reell waren. Trifft es sich doch nicht selten, daß der Zufall den Beobachter zu Anfang auf die unwahrscheinlichsten Fälle führt, nach denen er später lange suchen muß, um ihnen wieder zu begegnen. Was wir damals nicht erkannten, war die Vereinzelung dieser Vorkommen. Wir haben gleich unseren Vorgängern die daneben beobachteten kleinen Gehalte auf Besonderheiten der Schöpfstelle und Zufallsfehler geschoben. Denn auch wir gleubten damals, daß Gold viel leichter verloren als eingeschleppt würde.«
Haber, dem es gelungen war, den Stickstoff aus der Luft nutzbar zu machen, ist ein gleicher Erfolg mit dem Gold aus dem Meer nicht vergönnt gewesen.
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