Verlag für Geschichte
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Margot Fuchs |
Die vorliegende Arbeit hatte das Ziel, Biographie des seinerzeit weltweit geachteten Ingenieurs, Unternehmensleiters und sozialpolitisch engagierten Humanisten, heute aber weitgehend unbekannten Telefunken-Managers zu schreiben. Diese Biographie läßt ihren Protagonisten Arco mit leitmotivisch vorgegebenen Begriffen zum modernen Erfinder und zum Erfinden in einen Dialog treten mit dem Hughesschen, nach sozial- und technikwissenschaftlichen Kriterien gewonnenen Idealtyp des Erfinders.
Am Anfang seiner Berufskarriere eignet sich der junge Arco mit einer zunächst noch unbestimmten »Passion für Maschinen« die fachlichen und sozialkommunikativen Fähigkeiten an, die später zur Bewältigung seines beruflichen Alltags notwendig sind. Eher emotionslos findet er den Weg in die Elektrotechnik und schließt sich dem renommierten Maschinenbauer und Elektrotechniker Adolf Slaby an. Als Erfinder-Team verbessern sie gemeinsam ein von Marconi erfundenes System der drahtlosen Telegraphie bis zu dem Punkt, an dem die Entwicklung eines einsatzfähigen Produkts möglich wird.
Um weiter erfinden und technische Probleme lösen und um sein schöpferisches Potential entwickeln zu können, wählt Arco den Weg in die Industrie. Als Technischer Direktor und leitender Angestellter eines Tochterunternehmens großer, finanzkräftiger Mutterfirmen erhält er hier, innerhalb des vom Konzernmanagement vorgegebenen Rahmens, annähernd so viel Freiheit wie ein selbständiger Unternehmer, ohne dessen Risiken voll tragen zu müssen. Er erweist sich als findiger Techniker und Experimentator, den die akademisch-wissenschaftlichen Aspekte der neuen Funktechnologie weniger kümmern, als der Wunsch, sie durch systematische Detailverbesserungen für die militärische und zunehmend auch für die zivile Praxis tauglich zu machen.
Offenheit gepaart mit rigorosem Pragmatismus, bei dem Arco Methode wichtiger ist als Theorie, qualifizieren ihn als die ideale Besetzung zur Organisation von Forschung und Entwicklung bei Telefunken. Mit der Tochter der beiden Elektrokonzerne Siemens und AEG wird das geeignete unternehmerische Umfeld für Arcos außergewöhnliche Fähigkeiten aufgebaut, in dem er sein kreatives Potential und sein organisatorisches Geschick entfalten kann. Arco interessieren vornehmlich technische Ziele. Gelegentlich verliert er darüber den Blick für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Mit Hans Bredow wird ihm ein konventioneller »Aufpasser« an die Seite gestellt, der die konservativen und alltäglichen Werte verkörpert, die dem Geschäft von Telefunken nützen, Arcos freie Entfaltung aber hindern.
Drei Fallsbeispiele für technische Entwicklungen auf dem Gebiet der drahtlosen Kommunikationstechnologien zeigen, wie Arco als angestellter Erfinder-Ingenieur und Manager innerhalb eines von den Stammgesellschaften vorgegebenen Rahmens zu praxisgerechten Lösungen kommt. Bei der Entwicklung des Löschfunkensystem greifen Arco und seine Mitarbeiter ein nicht patentiertes wissenschaftliches Prinzip, die »Wiensche Stoßerregung« auf, wenden es in Laborexperimenten systematisch an und entwickeln es zu einem marktreifen Produkt.
Bei der Entwicklung einer rotierenden Hochfrequenzmaschine mit externer Frequenzvervielfachung greifen Arco und seine Mitarbeiter auf ein bereits vorhandenes Patent und praktische Erfahrungen der AEG im Bau von Großgeneratoren und starkstromtechnischen Anlagen zurück. Dieses Beispiel steht dafür, wie Arco und sein Team vorhandene Patentideen als für ihre Zwecke nutzbar erkennen, verbessern, bereits verfügbare eigene Technologie in einen neuen anspruchsvollen Zusammenhang integrieren und zu einem verkaufsfähigen, innovativen Produkt entwickeln.
Mit dem Kauf der Patente auf die Lieben-Röhre, einer frühen Spielart der Elektronenröhre, und der Entscheidung zum Einstieg in die Entwicklung der Vakuumröhrentechnologie dokumentieren das Konzernmanagement und Arco den Willen, zur Teilnahme an der beginnenden Konkurrenz um die Vorherrschaft in der elektronischen Technologie. Sie wird die gesamte Nachrichten- und Informationstechnik auf eine neue Basis stellen. Durch den Erwerb der Patente auf die Lieben-Röhre und mehrerer in- und ausländischer Patente auf Schaltungen auf der Grundlage der Elektronenröhre behält das Unternehmen auch nach dem Ersten Weltkrieg seine Stellung auf dem internationalen Markt. Die Entwicklung der Vakuumröhre zu einem vielgestaltigen und vielseitig anwendbaren Massenprodukt und der dazu nötigen Prüf- und Fertigungseinrichtungen bei Telefunken erfordern neues, in Physik ausgebildetes Personal. Das stellt die bisherige, stärker von Ingenieuren des Maschinenbaus bzw. der Elektrotechnik geprägte Unternehmenskultur vor neue Herausforderungen.
Arcos Management dieser Projekte charakterisiert ihn als flexibel und ergebnisorientiert, manchmal auch jenseits seiner eigenen Stärken und Erfahrungshorizonte. Die Entscheidung für die Entwicklung einer ihm eher unvertrauten Technologie wie die der Vakuumröhre mitzutragen, fällt ihm nicht leicht. Dennoch stellt er sich voll in den Dienst dieser für notwendig gehaltenen Entwicklung. Ergebnis geht ihm vor Vertrautheit. Darin ist er radikal modern.
Als Organisator von Forschung und Entwicklung für das Militär, als moderner Ingenieur, stellt sich Arco entschlossen gegen den Zeitgeist und unterstützt pazifistische Bestrebungen. Auch hier folgt Arco einem für ihn typischen Muster. Wie im Unternehmen sorgt er im Deutschen Monistenbund und im Bund Neues Vaterland als Organisator, Vermittler und angesehene Leitfigur dafür, daß andere produktiv werden können.
Die außerhalb Arcos beruflicher Tätigkeit stehenden Organisationen halten Ressourcen bereit, die der Erfinder-Ingenieur und Manager auch braucht, um seine Phantasie, seine Kreativität und seine Durchsetzungsfähigkeit zu mobilisieren; u. a. schöpft er aus ihnen, um seine Führungsrolle im Beruf auszuüben und seine Erfinderpersönlichkeit zu konstituieren. Auf diese Weise versichert er sich in einem anderen Kontext seiner Kompetenz und seines Einflusses als Führungskraft.
Die Art und Weise, wie Arco die politische und gesellschaftliche Katastrophe von übersteigertem Nationalismus, Sozialimperialismus und Krieg durch gelebte Praxis des Monismus und Pazifismus verarbeitet, ist außergewöhnlich. Ebenso unberührt wie vom akademisch-wissenschaftlichen Kontext seines Arbeitsfeldes bleibt Arco jetzt von der nationalistischen Begeisterung für den Einsatz von funktechnischen Produkten für kriegerische Zwecke. Kriegerische Auseinandersetzungen hält er für Unsinn und jegliche Ideologie für Verblendung. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen vereint sich in ihm nicht der kühle Kopf des Experimentators mit dem heißen Herzen der Vaterlandsbegeisterung. Während sein Direktionskollege Bredow sich freiwillig zu den Waffen meldet, arbeitet Arco weiter, ohne die politischen Ziele des kriegerischen Unternehmens, in das er eingespannt ist und dem er seine Professionalität zur Verfügung stellt, zu teilen.
Auch als die Führer des antireligiösen Deutschen Monistenbundes, dem Arco seit 1906 angehört, 1914 im nationalen Taumel den berüchtigten »Aufruf an die Kulturwelt« unterzeichnen und noch kurz vor Kriegsende eine »Vaterlandspartei« gründen wollen, bleibt er distanziert. Anders als bei vielen deutschen Intellektuellen ändert der Krieg seine Einstellung nicht. Vielmehr schließt er sich dem Bund Neues Vaterland an, der mitten im Krieg die europäische Verständigung sucht und die Mär vom Verteidigungskrieg zurückweist. Nach dem Krieg wird er Vertrauensmann der Unabhängigen Sozialistischen Partei Deutschlands (USPD) beim Rat der Volksbeauftragten, ohne jedoch der Partei anzugehören. Unabhängigkeit bleibt die Konstante in seinem politischen Leben ebenso wie er sie in seiner Tätigkeit als Industrieforscher anstrebt. Dabei stört es ihn wenig, mit wem er sich für die Öffentlichkeit gemein macht. So überprüft er mit seinem anerkannten technischen Know-how die Meßbarkeit von »Seelen-Qualitäten« nach der obskuren Theorie eines ukrainischen Arztes. Methodenzentriertheit charakterisieren auch sein Vorgehen als Leiter eines telepathischen Massenexperiments mit Hilfe des Rundfunks. Arco beschäftigt weniger die Frage, ob die Theorie plausibel ist sondern wie man sie testen kann. Mit vorurteilslosem Interesse läßt er sich auf Ideen ein, an die andere Wissenschaftler nicht einen Gedanken verschwenden wollen.
Wie bereits angedeutet, zerfällt die schriftliche Hinterlassenschaft Arcos inhaltlich grob in zwei Blöcke: seine größtenteils vor dem Ersten Weltkrieg erschienenen technisch-wissenschaftlichen Arbeiten und seine weitgehend nach 1919 veröffentlichten sozialreformerischen, populär-technikphilosophischen Arbeiten. Bei wachsender Unternehmensgröße von Telefunken, sich darin weiter differenzierenden Aufgabenbereichen, insbesondere die Entscheidung zur Entwicklung der Vakuumröhre, der neuen Massenkommunikationstechnologien wie Rundfunk, Bildfunk bzw. Fernsehen, Tonfilm und Schallplatte, wird das Handeln des leitenden Ingenieurs Arco immer weniger direkt sichtbar, sein Einfluß auf das Ergebnis der technischen Entwicklung geht im Kollektiv auf. Jetzt tritt das Dilemma des modernen Berufserfinders zutage. In großen Unternehmen produziert er Lösungen für technische und nicht-technische Probleme und Hunderte Patente. Ergebnisse und Handlungen können jedoch immer weniger ihm selbst zugeordnet werden. Es könnte der Eindruck entstehen, Arco sei in den 1920er Jahren nur noch eine Art »Frühstücksdirektor« für Telefunken gewesen. Als Ikone der Werbung und auf der retrospektiven Suche nach seiner Rolle am Ende seiner Karriere erscheint er jetzt als Getriebener seiner Vergangenheit, der von seinem Unternehmen, das ihn als Techniker nicht mehr benötigt, instrumentalisiert wird. Die von ihm noch mit Erfolg in das Unternehmen geholte Elektronenröhrentechnologie stellt seine Anpassungsfähigkeit für von ihm selbst gewollte Veränderungen auf eine harte Probe. Es bleiben der Ruhm und der gute, werbewirksam kurze und vornehme Name in der Öffentlichkeit.
Mit der gezielten Publikation autobiographischer und biographischer Texte seit dem Ende des Krieges und dem forcierten Einsatz der Person Arco in der Werbung seit etwa 1925 vermarktet die »Erfinder-Fabrik« Telefunken ihre Rundfunkgeräte mit dem Namen Arco, der zum Markenzeichen unverwechselbarer Produkte wird. Diese Form der Werbepraxis kennt die Elektroindustrie bis dahin nicht. In einer gezielt verkürzten Darstellung der tatsächlichen Entwicklung verkauft Telefunken Arco als Erfinder und Pionier des Rundfunks. Arco selbst nutzt die Möglichkeit, sich in das Gedächtnis der Zeitgenossen als Erfinder und Schöpfer von Wunderwerken der Technik einzuschreiben. Die Vermarktung von »Arco« wird so zum Hauptzweck seiner Unternehmenszugehörigkeit. Seine unaufgeregte Modernität harmoniert bestens mit dem Bild, das das Unternehmen von seinen Produkten vermitteln will. Trotzdem wird Arco mit 62 Jahren in den Ruhestand gedrängt. Jetzt hält er die publizierte Rückschau, an die diese Biographie eingangs anknüpft. Als Erfinderbiographie greift sie das Spannungsfeld ab, das sich aus einem überhöhten Bild vom Künstlertum des Ingenieurs ergibt, welches sich an einer von der Industrieforschung des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts erzeugten Realität messen lassen muß. Mit dem methodischen Schritt, für diese Biographie auch scheinbar völlig entlegene Kontexte zu analysieren, fügt sich der Techniker Arco und der politische Mensch Arco zu einem Bild einer stimmigen historischen Persönlichkeit.
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