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»Der Transistor« als technisches und kulturelles Phänomen

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 (1998) (1998)

Andreas Fickers
»Der Transistor« als technisches und kulturelles Phänomen
Die Transistorisierung der Radio- und Fernsehempfänger in der deutschen Rundfunkindustrie von 1955 bis 1965
(Aachener Beiträge zur Wissenschafts- und Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts, Band 1)
150 Seiten, Abb., Pb., 18,00 Euro
ISBN 978-3-928186-30-8
Eine Untersuchung über das Transistorradio in Deutschland im wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Kontext.

 

Einleitung

Am 8. Juni 1955 war Bundespräsident Theodor Heuss zu einem offiziellen Besuch des »Wernerwerks für Bauelemente« der Siemens & Halske AG in München eingeladen. Nachdem Heuss die Röhrenfabrik gezeigt worden war, führte ihn der Werksleiter der Halbleiterfabrik, Dr. Karl Siebertz, durch die erst drei Jahre alte Transistorabteilung. Siebertz begrüßte den Bundespräsidenten mit den Worten: »Ich freue mich, Herr Bundespräsident, daß Sie eben die Röhrenfabrik gesehen haben. denn ich soll Ihnen jetzt den Transistor vorführen, ein neues Bauelement, von dem wir glauben, daß es die Röhrentechnik in gewisser Weise ergänzen wird.« Da packte mich der Bundespräsident am Knopf meines schönen Anzugs, beutelte mich ein paar mal hin und her und meinte: »Der sagt ergänze; der anner hat grad gsagt, er bringt'n um – was isch jetzt wohr?«

Diese Anekdote schildert beispielhaft, worum es im Kern dieser im wesentlichen technikhistorisch ausgerichteten Arbeit geht: um die Geschichte des Einzugs eines elektronischen Bauelementes, des Transistors, in die Radio- und Fernsehempfänger vorwiegend deutscher Produktion in dem Zeitraum zwischen 1955 und 1965. Der Transistor, auch dies wird aus dem Heuss-Zitat deutlich, war zwar ein gänzlich neues elektronisches Bauelement, seiner Funktion nach jedoch, nämlich elektrische Impulse zu schalten oder zu verstärken, ein die Elektronenröhre ergänzendes Bauelement. Was beide Bauelemente unterscheidet ist das unterschiedliche physikalische Prinzip, auf dem in beiden die gewünschte Schalt- oder Verstärkerfunktion basiert. Dem Transistor als »Funktionserfindung« kam der Status eines »Konkurrenten« zu, der die Elektronenröhre aus vielen Anwendungsgebieten verdrängen sollte.

Im Vordergrund des Interesses stehen die Auswirkungen, die der Einsatz des Transistors – und damit die Ablösung oder »Verdrängung« der Elektronenröhre – auf die Rundfunkgeräte-Konstruktionen hatte. Der Transistor veränderte sowohl das Erscheinungsbild als auch die »Nutzung« der Rundfunkempfänger. Die Debatte um Sinn und Zweck der Transistorisierung der Rundfunkgeräte unter Gerätekonstrukteuren, Fachjournalisten und Verbrauchern, welche diesen Prozeß technologischen Wandels begleitete, wird für den rekonstruierenden Historiker zum Gradmesser der gesellschaftlichen und kulturellen Dimension, die dem Transistor als technischem Artefakt zukommt. Schon die Ausweitung des Begriffs »Transistor« von der reinen Namensgebung eines Halbleiterbauelementes hin zum Synonym für die transistorisierten Radioempfänger allgemein verpflichtet dazu, neben der innertechnischen Entwicklungsgeschichte auch kultur- und sozialgeschichtliche Implikationen aufzuzeigen. Technik und Kultur oder Technik und Gesellschaft sind nicht gegenüberzustellen und getrennt zu behandeln, sondern die Entwicklung der Technik wird als ein gesellschaftshistorischer Prozeß der Technisierung begriffen, in den kulturelle Vorstellungen, ökonomische Interessen und politische Machtkonstellationen hineinwirken und dadurch gleichzeitig verändert werden.

Diese Grundüberlegungen bestimmen die Gliederung der Arbeit. Die Einführung des Ultrakurzwellen (UKW)-Rundfunks in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands als Reaktion auf den Kopenhagener Wellenplan (Vgl. Kapitel 2.3 bis 2.4.1) gestaltete den Rundfunk nicht nur auf Senderseite völlig neu, sondern hatte weitreichende Konsequenzen für die Rundfunkgeräteindustrie. Die Ultrakurzwellen verlangten Empfängerkonstruktionen, die Radiowellen im Hochfrequenzbereich verstärken konnten. Dies war beim damaligen Stand der Röhrenentwicklung kein Problem, stellte für die Transistorfertigung jedoch lange Zeit eine unüberwindbare Hürde dar. Eine kurze Entwicklungsgeschichte des Transistors im Anschluß (Kapitel 3) stellt die wichtigsten Etappen der Erfindung des Transistors, seiner Verbreitung und Anwendungsgebiete dar.

Der Hauptteil der Arbeit besteht aus der Rekonstruktion des Prozesses der Transistorisierung der deutschen Rundfunkgeräte zwischen 1955 und 1965. Dieser Prozeß vollzieht sich in zwei »Wellen«. Die erste Welle (1955 bis 1959, Kapitel 4.1) beginnt mit dem Einbau erster Transistoren in deutsche Radioempfänger und endet mit dem Erscheinen erster Hochfrequenz-Transistoren aus deutscher Produktion. Die zweite Welle der Transistorisierung (1960 bis 1965, Kapitel 4.2) steht unter dem Stern des Hochfrequenz-Transistors. Er ebnet den Weg zur Volltransistorisierung der Radioempfänger und ermöglicht den Einsatz des Transistors im Fernsehempfänger. Im fünften Kapitel wird anhand einer Fallstudie die besondere Bedeutung der Hochfrequenztransistoren für die deutsche Halbleiter- und Rundfunkindustrie verdeutlicht. Im letzten Kapitel wird die technikhistorische Darstellung durch soziologische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Ausführungen erweitert. Damit wird versucht, die gesellschaftshistorischen und kulturellen Implikationen des technischen Phänomens Transistor zu verdeutlichen.

Mit dieser Arbeit sollen zwei Thesen zur Diskussion gestellt werden: 1) In Deutschland setzte die frühe Einführung des UKW-Rundfunks auf Sender- und Empfängerseite international Maßstäbe. Genau dieser qualitative Maßstab hat den Einsatz des Transistors in deutsche Rundfunkgeräte gehemmt. Erst der Hochfrequenz-Transistor, in Deutschland bezeichnenderweise »UKW-Transistor« genannt, ermöglichte den die meisten Gerätetypen umfassenden Wandel von der Röhren- zur Transistortechnik. Den Germanium-Mesa-Transistoren kam hierbei eine für die europäische Konsumelektronik wichtige Bedeutung zu.

2) Dem »change of culture in electronics«, dem Wandel von der Röhren- zur Transistortechnik, folgte im Bereich des Hörrundfunks ein Wandel der Hörkultur. Der Begriff Hörkultur beinhaltet nach Auffassung des Autors 3 Faktoren: 1) die funktionale und modische Gestaltung (Design) der Radioempfänger; 2) die unterschiedlichen Gebrauchsweisen des Radioempfängers (z. B. als Heimempfänger, mobiler Reiseempfänger, Universalempfänger etc.) und 3) die verschiedenartigen Nutzungsweisen des Radios als Massenmedium sowohl inhaltlicher als auch gesellschaftlicher Art. In allen drei Bereichen hat die Transistorisierung weitgehende Veränderungen mit sich gebracht. Das kleine Taschen- oder Kofferradio wurde zum Statussymbol einer ganzen Generation von Jugendlichen: In der Jugendkultur der 50er und 60er Jahre spielte das Transistorradio eine zentrale Rolle.

Die Quellenlage und der Forschungsstand gestalten sich je nach Themenbereich sehr unterschiedlich. Während es an Untersuchungen zur Geschichte des Rundfunks in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive der Sender- und der Programmgestaltung nicht fehlt, ist die Entstehung des UKW-Rundfunks seltener, die Bedeutung des UKW-Rundfunks für die Geräteentwicklung so gut wie gar nicht behandelt worden. Am besten und ausführlichsten ist die Geschichte des Transistors erforscht, vor allen Dingen aus der wissenschaftshistorischen Perspektive der Halbleiter- und Festkörperphysik. Zum Thema Transistorisierung der Rundfunkgeräte gibt es keine in Buchform aufgearbeitete historische Darstellung. Quellenbasis für diesen Teil der Arbeit waren im wesentlichen drei rundfunktechnische Fachzeitschriften (Funkschau, Funk-Technik und Radio und Fernsehen), die über den Zeitraum von 1955 bis 1965 analysiert und ausgewertet wurden.

Ergänzend zu den Zeitschriften kommen drei im Anhang wiedergegebene Interviews als Hintergrundinformation hinzu. Zitate und Verweise auf Aussagen der Interviewpartner beanspruchen nicht den Charakter historischer Richtigkeit, sondern sollen bereichernde und interessante Ergänzungen von Zeitzeugen zum Untersuchungsgegenstand sein. Schließlich liegen der Arbeit Recherchen im Siemens-Archiv in München zugrunde.

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